Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Jacke, entfaltete sie mit einem Ruck und pinnte sie quer über die diversen Bauzeichnungen.
    »Kommen Sie her!« Ich winkte energisch. »Hier«, stach ich meinen Zeigefinger auf einen markierten Punkt auf der Karte, noch ehe er neben mir stand, »der erste Anschlag. Hier ... der zweite. Und da - der dritte. Der vierte. Der fünfte. Der sechste, der siebte, der achte.« Ich sah ihn an. »Sehen Sie, was ich sehe?«
    Er blickte verwirrt.
    »Warten Sie!« Ich schnappte mir ein Lineal und einen Filzstift und verband die mit den Zahlen von eins bis acht versehenen Punkte der Reihe nach. Dann trat ich zurück, um Ragobert die Sicht nicht zu versperren. »Sehen Sie's jetzt?«
    Nun sag's schon, dachte ich. Er war immer so happy, wenn ich ihn auch mal eine Schlussfolgerung ziehen ließ. Nach einem Moment hochkonzentrierten Starrens nahm er die Hand vom Kinn und drehte sich mir mit großen Augen zu. »Eine Spirale«, sagte er und vergaß, anschließend den Mund wieder zuzumachen.
    »Richtig, Herr Knauff. Wenn man die Anschlagsorte miteinander verbindet, erhält man das Bild einer sich nach innen windenden Spirale. Und was, frage ich Sie, liegt genau im Zentrum dieser Spirale?« Er stierte wieder.
    Na, dachte ich, haben wir's denn bald mal?
    Er erbleichte. Er hatte es.
    »Genau«, sagte ich zu ihm und kaute energisch meinen Gummi. »Genau hier. Hier, wo wir beide stehen, ist das Zentrum dieser hässlichen Spirale der Gewalt.«
    Gewalt war vielleicht ein bisschen viel gesagt, hatten wir es bis jetzt doch ausschließlich mit Sachbeschädigung zu tun. Aber mein Kunde empfand so. Er nahm die Sache persönlich. Zu persönlich. Viel zu. Für mich war er ein klassischer Fall von Über-Identifikation mit der Firma.
    Edwin Knauff war der Projektleiter für das jüngste Bauvorhaben der großen amerikanischen Fast-Food-Kette, die wir hier und im Folgenden einmal McDagobert's nennen wollen. (Darum hatte ich ihn Ragobert getauft. Ragobert McDagobert - geschnallt? Ja, das ist er, der berühmte Kryszinski'sche Humor. Handverlesen.) In exakt elf Tagen sollte Eröffnung sein - was heißt, sollte sein, war Eröffnung -, und damit dieses Ereignis auch niemandem entging, wurden schon seit Monaten in der ganzen Stadt Plakatwände angemietet, Banner an Brückengeländer geflochten, Plastikfiguren aufgestellt (der bescheuerte Clown mit dem perfiden Kinderfickergrinsen), beleuchtete Werbesäulen und Wegweiser aus allen Himmelsrichtungen installiert. Tamtam ist ein zu kleines Wort für das Getöse, das im Vorfeld der Eröffnung einer weiteren Frittenbude veranstaltet wurde.
    Und eben das - all das - passte jemandem überhaupt nicht in den Kram. Meiner Überzeugung und allen Anzeichen nach (so gab es z. B. keinerlei Bekennerschreiben, mit der eine weltverbessernde Organisation die Öffentlichkeit gesucht hätte) eine Einzelperson. Irgendeine leicht erregbare Natur in dieser Stadt schien also die McDagobertisierung der Welt nicht kampflos hinnehmen zu wollen und sabotierte deshalb in schöner Regelmäßigkeit die Werbeträger der Firma. Mit einiger Heftigkeit, mit technischem Verständnis und, wie sich just herausgestellt hatte, mit System.
    »Womit endgültig bewiesen wäre, dass es sich um den immer gleichen Täter handelt«, sagte ich. »Die Spiralform ist kein Zufall. Und ihr Zentrum erst recht nicht.«
    »Wir werden die Wachmannschaft auf der Baustelle verdoppeln«, sagte er und griff nach seinem Telefon. Ich bremste ihn mit einem Wink.
    »Noch sehe ich keine Gefahr. Hier, meine ich. Noch ist die Spirale zu weit entfernt. Mein Gefühl sagt mir, dass er sie noch ein wenig enger ziehen wird. Ein, zwei Umdrehungen enger.« Ich trat wieder an die Karte. »Lassen Sie uns sämtliche Werbeträger hier, im Inneren dieses Kreises einzeichnen. Das sollte uns die Möglichkeit geben, mit ziemlicher Genauigkeit vorherzusagen, wo er das nächste Mal zuschlagen wird. Und dabei legen wir ihm eine Falle, und dann schnappen wir ihn uns.« Ich hängte meinen linken Arm mit dem Daumen in den Gürtel und spürte das Gewicht des L-förmigen Romans, als ich mich wieder zu ihm drehte.
    Feuerschein leuchtete aus seinen Augen.
    »Außer, natürlich, er hat die Spirale angelegt, um uns bewusst auf eine falsche Fährte zu locken. Dann wird's knifflig.«
    »Und wenn wir den Kriminalpsychologen noch mal zu Rate ziehen?« Der hatte ihm mächtig imponiert.
    McDagobert's war schwer daran gelegen, dass die ganze Angelegenheit nicht an die große Glocke gehängt wurde. Man

Weitere Kostenlose Bücher