Der Willy ist weg
machen.
»Und?« Charly goss Nudeln ab. Deliah war aus, arbeiten, und die meisten Stormfucker waren unterwegs, herumfragen, wer wann wo Willy zuletzt gesehen hatte. Ich versprach mir nicht viel davon. Eine ganze Reihe Leute würden am Hals gepackt und geschüttelt werden, und die Auskünfte würden spärlich und widersprüchlich ausfallen. Aber sie mussten etwas tun, das verstand ich gut.
Ich antwortete: »Katastrophe.« »Kein Geld.«
»Kein Pfennig. Ohne Willys Unterschrift wird die Bank nichts, aber auch gar nichts herausrücken.«
»Sagt er«, hängte ich nach einer nachdenklichen, kleinen Pause hintendran. Bis dahin hatte ich nur Roth-Bichlers Wort.
»Wo ist das Problem?« Charly stellte Teller auf den Tisch und brüllte Scuzzis Namen. »Unterschreibst du nicht auch immer seine Briefe?«
»Nicht immer. Nur ab und zu.« Willy verfasste seit rund einem Vierteljahr jede Woche einen Brief an >Dagmar<. (Sein >Projekt<, wie er es nannte. Es sollte wohl so was wie sein Meisterstück werden, was Verführungskunst anging. Nicht, dass es bis jetzt auch nur ein allerkleinstes Zeichen der Ermutigung von der Seite der zu Verführenden gab, aber das hat Willy ja noch nie irritiert.) Verfasste, wohlgemerkt, denn Willy war ein bisschen ein Legastheniker, und die Reinschrift blieb - ich weiß nicht, wie das gekommen ist - jedes Mal an mir hängen. In einem kurzen Moment der Verwirrung fragte ich mich, wer das wohl jetzt für ihn tat. Plötzlich hatte ich keinen Appetit mehr.
»Urkundenfälschung«, sagte ich, nach einer kleinen Pause, »mit einem Notar? Nicht drin. Roth-Bichler hat fast der Schlag getroffen, als ich das anregte.«
Was ich erst mal für mich behielt, war der Umstand, dass der Vermögensverwalter sich nicht nur brüsk weigerte, zur Lösung des Problems beizutragen, sondern auch noch unverhohlen den Verdacht äußerte, wir, die Fuckers, könnten hinter der Sache stecken. Ein Gedanke, der, aus seiner Sicht, noch nicht einmal so abwegig erscheinen musste. Im Endeffekt bereute ich es, ihn ins Vertrauen gezogen zu haben. Es verkomplizierte die Situation nur noch weiter.
Die Tür ging auf, und zusammen mit Scuzzi kam Schisser herein, ein Blatt Papier in der Hand, das er grübelnd und an seinen Lippen nagend wieder und wieder studierte.
»Ich habe mir etwas überlegt«, sagte er, setzte sich an den Tisch und nahm erst mal kaum Notiz von dem Teller Nudeln, den Charly ihm rüberschob. Zu sehr nahm ihn seine Lektüre in Anspruch. »Wegen der Million«, schickte er hinterher. »Wir könnten etwas drehen.« Er sah auf. »Nicht ganz einfach, aber machbar.« Und er senkte den Blick wieder auf sein Papier. Bekrakelt mit Namen, Zahlen und vielen, vielen hin und her und kreuz und quer zeigenden Pfeilen, soviel ich ausmachen konnte.
»Wie?«, fragte Charly, und - »Wo?«, fragte Scuzzi.
Ich ahnte, was nun käme, und mit »Am Raffelberg« bestätigte Schisser meine Vermutung und gabelte abwesend ein paar Bissen in sich hinein.
Schisser war mit beinahe hundert Siegen auf dem Weg zu einer steilen Profi-Karriere, als er mit neunzehn noch mal einen verspäteten Wachstumsschub bekam und mit einssiebzig zwar nicht unbedingt riesig, aber ein für allemal zu schwer wurde für einen Berufsrennreiter. Sein Gespür für Pferde blieb allerdings erhalten, und so ritt er heutzutage zu, testete Galopper auf ihre Fähigkeiten und beriet potentielle Käufer. Er hätte bequem leben können von seinen Rennbahnkontakten, wenn er es bloß schaffte, das Geld von da mitzunehmen und auf die Bank zu bringen. Stattdessen ließ er es regelmäßig an Ort und Stelle. Am Wettschalter.
Wer mich kennt, weiß, dass ich besonders geistreiche Bemerkungen gerne mit >Äh< einleite.
»Äh«, begann ich, »aber wir haben Winter.«
Schisser sah kurz auf und nickte dann.
»Stimmt«, meinte er. »Der morgige Renntag ist ein Versuch. Die Winter werden milder, heißt es, und all das schöne Geld, das in dieser Zeit auf Gäule in Südafrika verwettet wird, könnte auch genauso gut hier bei uns bleiben. Vorausgesetzt, das Geläuf ist frostfrei und die Außentemperatur ist über 5°, wird morgen gerannt. Und -um zum Thema zu kommen - sowohl im Vierten wie im Neunten, dem Hauptrennen, hätten wir je eine ideale Zusammensetzung.« Er zog ein Programmheft aus seiner Arschtasche, glättete es mit der Hand auf dem Tisch und klopfte drauf wie der Pfarrer auf die Bibel.
Jetzt kommt er wieder mit einem seiner todsicheren Tipps, dachte ich, innerlich schon mit dem Kopf
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