Der Willy ist weg
Straßenbahn.
Deliah und ich gingen als Pärchen. Es war unser erster gemeinsamer Ausflug. Bis jetzt hatten wir, auch aufgrund der angespannten Lage natürlich, weder viel unternommen noch besonders viel gequatscht miteinander. Nur im Bett, so'n bisschen, postkoital. Sie war unkompliziert, direkt, ehrlich, anspruchsvoll, sie hatte eine charmante, verspielte, fordernde Art und wirkte aufgeschlossen in beinahe jeder Hinsicht, doch spreche ich hier immer noch ausschließlich übers Bett. Ansonsten wusste ich nicht so viel über sie. Genauso wenig wie über unseren, tja, Status. Und der interessierte mich schon.
»Sind wir jetzt eigentlich zusammen?«, fragte ich sie und quetschte mich auf den Beifahrersitz ihres kleinen, in, wie ich fand, fragwürdigem Emanzenlila lackierten Honda Civic.
»Wenn wir zusammen sind«, antwortete sie sybillinisch, kokett lächelnd, und es war vom Tonfall her nicht zu entscheiden, ob es möglicherweise als Gegenfrage gemeint war.
Hm, dachte ich, vielleicht ein andermal.
Jeder von den Jungs hatte zwischen achtzig und hundertzwanzig Mark in der Tasche, rund zwei Mille also alle zusammen. Und, für die Vergesslichen, einen von Schisser selbst ausgefüllten, kleinen Wisch mit Zahlen. Nummer des Rennens, Nummern der Pferde in der richtigen Reihenfolge, Nummer des Schalters, an dem der Wettschein zu holen sei, ungefähre Uhrzeit. Beim Startschuss des letzten Rennens zu verzehren, der Wisch.
Alles war durchgeplant, es klang richtiggehend simpel. Nur zwei der Reiter traten in beiden Rennen an, doch alle beteiligten Jockeys steckten unter einer Decke. Sie hatten zwei Drittel der Einnahmen verlangt, doch Charly hatte nicht mit sich reden lassen. Halbe-halbe oder gar nix. Für uns wurde es auch so schon knapp genug. Schätzungen gingen von >mindestens 500000< pro Seite aus. Mindestens. Nach oben war >alles offen<. Ah, ich war skeptisch. Die schönste, die hoffnungsfroheste Schätzung wird mich nicht über Nacht zum Optimismus bekehren. Ich hatte schon zu viele Vorschusslorbeeren in der Suppe enden sehen.
»Oh, sieh doch nur, was für schöne Pferde!« Deliah deutete strahlend auf die dampfenden, schnaubenden, schäumenden Teilnehmer des gerade absolvierten ersten Rennens, die mit Decken behängt an uns vorbeigeführt wurden. Ich hatte keinen rechten Blick dafür. Ich war nervös. Obwohl wir uns alle nicht kannten, konnte ich nicht anders, als mir ständig den Kopf nach den anderen Stormfuckers auszurenken. Wenn ich nicht gerade auf die Uhr starrte. Untätiges Warten zehrt an mir wie dauerndes Bremsen an einem Reifen. Es macht mich dünn, außenrum.
Manche, vor allem die, die nicht im Fuckers' Place wohnten und die ich deshalb manchmal nur alle paar Wochen und dann unweigerlich in Biker-Kluft zu Gesicht bekam, erkannte ich buchstäblich kaum wieder. Der Coole Eric, zum Beispiel, der eine Goldwing fuhr und den ich bis dahin immer nur in Fransenjacke und Schnürjeans aus -braunem - Leder erlebt hatte (das ganze Ensemble jedes Mal aufs Neue eine Beleidigung für die Sinne), trug heute, was aussah wie seine Arbeitsklamotten: dunkelblaues Sportsakko mit Binder über Jeans und festem Schuhwerk. Abgesehen einmal von der bis an die Schläfen reichenden Sonnenbrille ähnelte er in dieser Aufmachung mehr einem jugendlichen DFB-Funktionär als einem der besten Bodyguards der Republik, Schutzengel der Prominenz. Zurzeit war er in Bonn beschäftigt, wo alle Security der Welt vonnöten schien, den amerikanischen Verteidigungsminister, der gekommen war, unserem zu allem strahlend nickenden Kanzler einen Probelauf des Dritten Weltkriegs auf deutschem Boden schmackhaft zu machen, vor den tollwütigen Pazifisten in Schutz zu nehmen.
Er hatte sich das Adjektiv zu seinem Namen hart erarbeitet, war wirklich der Coolste von allen, nicht aus der Ruhe zu bringen, Eiswasser in den Adern und was nicht noch alles. Bis auf eine winzige schwache Stelle, von der die wenigsten wussten. Ich flüsterte Deliah etwas ins Ohr, wir schlichen uns hinter ihn und ich sagte laut >Debbie Harry<, und es war wieder einmal entzückend zu sehen, wie sich seine Ohren röteten. Er hatte die Sängerin der Pop-Band >Blondie< mal eine ganze Tournee lang gebodyguarded, und irgendetwas muss sie mit ihm angestellt haben. Auch wenn er nicht drüber spricht. Da ist er zu cool zu. Genauso wie dazu, sich nach uns umzudrehen, rote Ohren hin oder her.
Das zweite Rennen wurde gestartet, begleitet von Lautsprechergetöse. Eine Handvoll Rösser und Reiter
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