Der Willy ist weg
sagte ich in die Runde, »eine Million in drei Tagen. Irgendwelche Vorschläge? Ich höre.«
Willys Konten waren das Naheliegendste. Das, worauf die Entführer spekulierten. Fraglich blieb, wie der Vermögensverwalter reagieren würde. Einer musste mit ihm sprechen, möglichst sofort.
Sollte er sich stur stellen, die Polizei einschalten wollen oder sollten sich formale Hindernisse ergeben, blieb Strategie 2: Wiederum Willys Konten. Man musste sie beleihen können. Gut, nicht bei der Bank, nicht mit einer Geschichte wie dieser. Aber es gibt andere Möglichkeiten.
Teuer, sicher, aber immer noch besser als die ScheibchenVariante. Jemand musste mal mit Luigi sprechen. Was eine interessante Frage aufwarf: Wenn der Schwede hinter all dem steckte und nur einen sagen wir, auf unerfahren mimenden Anrufer vorgeschickt hatte, und wir liehen uns das Lösegeld bei ihm, dann ... dann ... erhm. An dem Punkt wurde mir leicht schwindelig. Dann würden wir ihm ja quasi sein eigenes Geld als Lösegeld zurückgeben und . und . und .
»Oh«, machte Dr. Roth-Bichler überrascht, als er mir selber die Türe zum engen Flur seiner Kanzlei öffnete.
»Ich hatte eigentlich den jungen Herrn Heckhoff erwartet«, erklärte er mir. »Schon seit ein paar Tagen«, fügte er mit einigem Vorwurf hinzu. »Doch Sie kommen mir im Grunde auch nicht ungelegen«, er wies mir den Weg in sein Arbeitszimmer (Regalwände voll Akten und juristischer Wälzer, zwei Kunstdrucke, Wandkalender >Englische Landschaftsmalerei<) und deutete auf einen unbequem aussehenden Stuhl vor seinem lederbespannten Eichenschreibtisch, »denn es gibt ein paar grundlegende Dinge zu besprechen.«
Mit einem kleinen Ächzen ließ er sich in seinem ledernen Drehsessel nieder und musterte mich durch die oberen Hälften seiner auf halber Höhe quergeteilten Brille aus wässrigen, blassblauen Augen. Er hatte die Gestalt eines Jockeys, die fleckige, trockene Haut eines Allergikers und das penibel gekämmte, im Nacken allerdings viel zu lange Haar eines Orchestermusikers. In seinem korrekten, wenn auch verschossenen Anzug wirkte er wie ein zahlennotorischer Pedant, dem alles wurscht ist, solange nur die Bücher stimmen.
Ich weiß nicht, was er in mir sah, aber das Gefühl gegenseitiger Abneigung schwängerte die Luft wie ein warmer Furz mit langer Standzeit.
»Es ist doch wohl richtig, dass Sie und eine ganze Anzahl Ihrer Freunde schon längere Zeit in der Heckhoffschen Villa zur Untermiete wohnen, oder?«
Ich antwortete: »Das tut im Moment nichts zur Sache. Ich .«
»Antworten Sie mir! Wohnen Sie oder wohnen Sie nicht?«
»Ja, klar«, sagte ich, »doch .«
»Und wieso finde ich dann in den Büchern keinerlei Mieteingänge?« Mit einer Miene ehrlicher Entrüstung patschte er auf einer Seite eines aufgeschlagen vor ihm liegenden Aktenordners herum. Unnötig zu sagen, dass er mir schwer auf die Nüsse ging damit, wie mit seiner ganzen Art überhaupt.
Ich fragte, Silbe für Silbe, weil mühsam beherrscht: »Werden Sie mir zuhören, wenn ich Ihnen sage, dass wir Wichtigeres zu bereden haben?«
»O nein. Erst mal hören Sie mir zu! Wie Sie vielleicht wissen, fungiere ich seit dem tragischen Tod der Eltern als der Vermögensverwalter des jungen Heckhoff. >Verwalter< ist, in diesem Zusammenhang, missverständlich. Im Grunde wird von mir erwartet, dass ich es vermehre, das Vermögen. Und dieser Job wird mir nicht erleichtert durch die immensen Kosten, die der Unterhalt einer Villa zwangsläufig so mit sich bringt. Strom, Wasser, Abwasser, Müllabfuhr, Heizöl, Grundsteuer, Handwerkerkosten, Gartenpflege, Versicherungen, um nur einige Posten aufzuzählen. Ich hatte Herrn Heckhoff - unter anderem - hergebeten, um ihm dringend dazu zu raten, mit Ihnen und Ihren Freunden diese von mir schon mal vorbereiteten Mietverträge abzuschließen.« Und er reichte mir einen Schnellhefter herüber. Ich nahm ihn, automatisch, und legte ihn ungeöffnet auf den Boden.
Halt den Mund, sagte ich zu mir. Wenn du genau weißt, dass nur fruchtlose Beleidigungen herauskommen werden, halt einfach den Mund.
Ich griff schweigend in meine Jacke, zog schweigend den Erpresserbrief heraus und reichte ihn schweigend über den Schreibtisch.
Dr. Roth-Bichler las. Runzelte die Brauen. Las es noch mal. Sah auf und sagte: »Dass wir uns recht verstehen: Dieses Schreiben ändert erst mal nichts an Ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung.«
Dr. Roth-Bichler besaß das selten anzutreffende Talent, mich komplett sprachlos zu
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