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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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hopperte über die Bahn, bog in eine Kurve, geriet außer Sicht, tauchte wieder auf, kam noch mal vorbei, und am Ende hatte eines gewonnen.
    Alles ganz toll.
    Nervös lief ich hin und her, Deliah an meiner Seite.
    Ich zeigte ihr den Schlingernden Horst, den Stormfucker mit der Rekordzahl an Motorradstürzen. Horst zog ein Bein nach.
    Ich zeigte ihr Katzoff den Vertilger. Katzoff mit den bluttriefenden Packtaschen. Katzoff den Metzgersohn, der im Glauben lebte, Bikertreffen seien einzig und allein dazu da, sich von morgens neun bis nachts um drei mit angekohlten Schweinefleischprodukten voll zu stopfen. Eines Tages wächst Katzoff noch ein Rüssel, heißt es immer. 'Nen Ringelschwanz, so sagt man, hat er schon.
    Ich zeigte ihr Mattes, den vegetarischen Späthippie, vor dessen Zelt wir immer Katzoffs Grill aufbauten und der sich auf unseren Treffen meist mit einer Diät aus Salzstangen und Büchsenbier in Form hielt.
    Ich sah noch ein paar mehr, doch schließlich war auch der dritte Lauf vorbei und Deliah und ich trennten uns kurz, um an verschiedenen Totalisatoren unsere Hunderter zu setzen wie angewiesen.
    Diese Wette diente im Grunde nur der Geldbeschaffung für das neunte und letzte Rennen. Um niemanden zu beunruhigen, war ein von der Wahrscheinlichkeit her mittelprächtiger Zieleinlauf geplant. Erst im Hauptrennen sollte ein krasser Außenseiter alles durcheinander krempeln und eine Rekordquote bringen.
    »Und wie wollt ihr das hinbiegen?«, hatte ich gefragt.
    »Da ist doch Fachpublikum vor Ort. Die Jockeys können doch nicht allesamt mit angezogenen Bremsen durchs Rennen gehen, damit am Ende eine vierbeinige Ente als Erste durchs Ziel watschelt.«
    Und Schisser hatte mir Recht gegeben. Im Prinzip. Das Knifflige sei halt, einerseits die schnellen Pferde ein bisschen langsamer zu machen und gleichzeitig den Außenseiter um ziemlich genau die gleiche Marge schneller.
    »Und das geht? Ich meine, ohne dass es auffällt?«
    Und Schisser war mir mit diesem wissenden Lächeln gekommen, das mir immer jegliches Vertrauen raubt. Diese fachmännische Geheimnistuerei, diese InsiderÜberheblichkeit, mit der sie einen behandeln, als wäre es ein klares Zeichen von Hirnschaden, auch nur zu fragen.
    Der Kapitän der Titanic hat ganz genauso gelächelt, als er von irgendeinem dämlichen Fahrgast nach der Gefahr durch die großen Eisberge da vorne befragt wurde. »Dieses Schiff ist unsinkbar«, hat er den armen Trottel dann freundlich belehrt und sich nur mit Mühe zurückhalten können, ihn ins Ohrläppchen zu zwicken.
    »Du wirst sehen«, hat Schisser geantwortet und bei Gott, er sollte Recht behalten.
    Das vierte Rennen ging glatt über die Bühne. Fast schon zu glatt, wie ich fand. Gerne hätte ich mich bei den anderen darüber beklagt und meiner anhaltenden Skepsis Ausdruck verliehen, doch kannten wir uns ja alle nicht. Auch wenn Hoho - in dünnschissbraunem Lederblouson, Hosen mit Bügelfalte und Halbschuhen (als er mir zuzwinkerte, dachte ich für eine irritierte Sekunde: Wer ist denn die riesige, fette Schwuchtel?) - und ein paar andere aus der intellektuellen Oberschicht der Gang sich verstohlene Gesten und mimische Verrenkungen nicht verbeißen konnten. Falls sie ihre Scheine weisungsgemäß ausgefüllt und ihr Geld eingezahlt und nun ihren Gewinn kassiert hatten, sollten wir alle im Schnitt zwischen 1600 und zweieinhalb Mille in den Taschen haben. Plötzlich begriff ich, wie Glücksspiel funktioniert: Wir waren drauf und dran, vierzigtausend Mark an die Schalter zu tragen. Und obwohl wir das Risiko zu unseren Gunsten gefingert hatten, genügte ein vertretener Huf, und die Patte wäre futsch.
    Was folgte, waren zweieinhalb lange Stunden für einen Mann mit meiner Geisteshaltung.
    »Kuck mal, sieht Scuzzi nicht süß aus mit seiner Pudelmütze?«
    Hm, ich wusste nicht so recht. Rotgrüngelb. Und, unübersehbar selbst auf die Entfernung, passend zur Mütze stoned wie die Vorstufe zu einer Lobotomie. Genau wie Pit Bull, natürlich. Und der Rest der Fucker bekämpfte die innere Anspannung nach Kräften mit Bier. Als wäre dies hier nichts als eine große Party. Um trotzdem hellwach zu bleiben, sah ich den einen oder anderen verstohlen eine >Rote< einpfeifen. Mir wäre lieber gewesen, sie hätten das gelassen, doch kannten wir uns ja alle nicht, und so sah ich einfach weg, nahm Deliah am Arm und tauchte ein in die hin- und herwogende Masse der Finanziers dieses ganzen Spektakels hier: der pferdesportbegeisterten

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