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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Fisch im Vorgarten zu finden, war an Widerwärtigkeit kaum noch zu überbieten, doch . Man lebt und lernt. Diese Methode, Druck auszuüben, war selbst uns neu.
    Man kann auch manches vergeben. Einmal durch den gellenden Schrei >Feuer!!< geweckt worden zu sein und anschließend für Monate mit einem Pulverlöscher neben dem Bett geschlafen zu haben, jedoch nicht. Phosphor. Ich meine, Phosphor. Es ist die Demütigung der Angst, der Angst vor jemandem, nicht etwas, die im Gedächtnis eine Narbe bildet wie ein Vulkankrater und von da ein Flämmchen am Züngeln hält, ein Flämmchen namens Hass.
    Die von Lazio Cinosil, besser bekannt als >der Schwede<, geleitete Gruppierung >A< hatte sich schließlich durchgesetzt und die alte Ordnung wiederhergestellt. Das Missverständnis zwischen uns und ihnen wurde nie so richtig bereinigt, und es gab auch nie ein Friedensabkommen. Wir lebten in einem von gegenseitigem Misstrauen geprägten Waffenstillstand. Das vorherrschende Gefühl war, noch eine Rechnung offen zu haben.
    - Sie hatten unsere in der Einfahrt geparkten Motorräder angesteckt, wir hatten ihrem Boss das nigelnagelneue BMW-Coupe geklaut, es auf eine 120 Meter hohe Abraumhalde gesteuert und dann alleine weiterfahren lassen. Sie hatten den Fisch geliefert, wir mit Buttersäure geantwortet. Dann kam die Nacht des Phosphors, und anschließend haben wir lange darüber nachgedacht, ob wir die Auseinandersetzung weiter eskalieren lassen oder zurückstecken sollten. - Wir haben zurückgesteckt. Leicht war's nicht gefallen. Und jetzt, wo der Verdacht entstand, der Schwede könne hinter Willys Verschwinden stecken, stand die Frage im Raum, ob nachzugeben wirklich die richtige Entscheidung gewesen war.

Kapitel 3
    Der Morgen brachte die Post, und in der Post war ein an mich adressierter Brief, und in dem Brief war ein Polaroid. Deliah sah mir über die Schulter, als ich es hervorzog, und schnappte entsetzt nach Luft. Danach machte es eine stille, nachdenkliche, beinahe geschockte Runde von Hand zu Hand, einmal rings um den Frühstückstisch. Bis D.O. das Schweigen brach.
    »Ich meine, als die Dicke Wanda ihn durchgelassen hatte, hatte er schlimmer ausgesehen.«
    Ein paar nickten, wenn auch vage. Viel schlimmer, wenn, dann nicht, konnte man aus ihren Mienen lesen.
    Die Dicke Wanda war eigentlich gar nicht so dick, sondern eher, was man als >stabil< bezeichnet. Körperlich gesehen, nicht geistig.
    Ihre mentale Verfassung war ungefähr so stabil wie ein auf Luftdruckänderungen, Temperaturschwankungen, Erschütterungen und Geräusche reagierender Sprengstoff. Sie hatte, was man >einen Ruf< nennt. Unter den verschiedenen Dingen, die man ihr nachsagte, waren ein, tja, schwieriges Temperament, der Hang zu unnötiger Grausamkeit, eine schier unmöglich zu erfüllende Erwartungshaltung an die Leistungsfähigkeit ihrer Liebhaber, gekoppelt mit dem Nimbus, nur außerordentlich schwer ins Bett zu kriegen zu sein. Irgendwann abends waren wir mal auf sie zu sprechen gekommen, ein paar Geschichten über sie aus erster, zweiter oder auch dritter Hand hatten die Runde gemacht, und Willys Augen waren größer und größer geworden, bis sie die Brillengläser bis zum Rand zu füllen schienen.
    Noch in der gleichen Nacht hat er sich auf die Pirsch gemacht.
    Zwei Tage später schleppte er sie an.
    Schwer zu verführen und dann unersättlich, das stachelte Willys Libido an, wie es in grüner Chartreuse gelöste Spanische Fliege nicht vermocht hätte.
    »Eigentlich geht's mir nur ums Rumkriegen«, hat er mir mal gestanden. »Je schwieriger, desto besser.« Aussehen, Alter und Geschlecht waren nebensächliche Kriterien. Was ihn befeuerte, waren Widerstand und schwierige Umstände. Er war, so gesehen, und abgesehen mal von seiner Diamantschleiferbrille, der übertrieben schlaksigen und unkoordinierten Körperhaltung und -spräche und dem frei in den Raum ragenden Gebiss, ein richtiger, echter, wahrhaftiger, in der Wolle gefärbter Urenkel Don Juans.
    Und wie sein geistiger Vorfahre blieb er gerne die ganze Nacht dabei, bis nichts mehr kam als heiße Luft. Wenn er also behauptete, es ginge ihm ausschließlich ums Verführen, war das nur die halbe Wahrheit. Er rammelte auch mit einiger Begeisterung und Variationsfreude. Bis zur Erschöpfung. Und ab da, ab dem Punkt, wo es beim besten Willen nicht mehr ging, ab da verlor er jegliches Interesse. Schlagartig. Für immer. In der Hinsicht war er wie ein Kind, das unglaubliche Geduld und Energie aufgebracht hat,

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