Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
mich, und zwar schleunigst, auf dem Präsidium an der Von-Bock-Straße einzufinden.
    Stange Zigaretten, dachte ich, und ein weiteres Hemd war reif für die Wäsche. In einem Anfall von Letzte-Minute/ Letzter-Strohhalm-Panik durchforstete ich mein Zimmer nach einem älteren Foto von mir, suchte und fand Deliah, die bei Scuzzi auf dem Teppich hockte und mit ihm zusammen die Katze puselte. Sie sah hoch, sah meinen Gesichtsausdruck, sprang auf die Füße, ließ sich kurz schildern, worum es ging, und schleifte mich unverzüglich ins Bad.
    »Sag mal«, meinte sie, während sie Klapptüren klappte und Schubladen zog und Töpfe, Tuben und Tiegel zusammensuchte und vor Mutter Heckhoffs dreiteiligem Schminkspiegel ausbreitete, »was ich mich schon länger frage: Sind eigentlich einer oder mehrere deiner Kumpels hier homosexuell?«
    Ich wusste gleich, worauf sie hinauswollte.
    »So, der Scheitel?« Sie scheitelte mich.
    Ich hielt ihr das Foto hin. »Nein, also, andere Seite.« Sie scheitelte um, kämmte und schnippelte rasch und entschlossen, warf immer wieder einen Blick auf das Bild zwischendurch. »Weil, ihr habt hier ein unglaubliches Sortiment an Schminkutensilien. Ist ja 'ne halbe Parfüme-rie, euer Bad.«
    »Das kann ich dir erklären«, sagte ich.
    »Na, da bin ich aber gespannt. Hier, schmier dir das schon mal auf die Nase und unter die Augen.«
    »Was ist das?«
    »Hämorrhoidensalbe.«
    »W-?«
    »Nu, mach schon. Zum Abschwellen gibt es nichts Besseres. Und inzwischen kannst du mir verraten, wer von euch Süßen 48 verschiedene Lippenstifte und 24 Schattierungen Lidschatten braucht.«
    »Das war so«, begann ich. »Eines Mittags letzten Herbst klingelte es bei uns an der Türe, und Willy rief eilig: >Ich mach auf!<«
    »Soll ich dir nur die roten Flecken vom Fieber wegschminken oder willst du aussehen, als kämst du gerade aus dem Urlaub?«
    »Ich will aussehen wie sechzehn.«
    »Wollen wir das nicht alle?«, gurrte sie. Dabei sah sie aus wie sechzehn. Na. Sechzehneinhalb.
    »Also Willy öffnet die Haustür und draußen steht ...«
    »Mach mal Mund und Augen zu, jetzt kommt ein bisschen Puder. So. Besser.«
    ». und draußen steht eine Avon-Vertreterin.«
    Mit ihren Köfferchen, in ihrem Kostümchen, duftend, wohlfrisiert und geschminkt, der Rock eine sittsame Handbreit über dem Knie, die Pumps mit Absätzen, aber keinesfalls zu hoch, Nagellack und Lippenstift aufeinander abgestimmt, jedoch zurückhaltend im Ton. Mit einem Wort: adrett.
    Willy, der sie bestellt hatte, bat sie mit vollendeter Höflichkeit herein, und nur ein wirklicher Kenner seiner Stimmlage konnte den hochgefahrenen Hormonausstoß dahinter erahnen. Wirkte die Vertreterin zu Anfang leicht verstört, weil keine einzige Frau im Haushalt zu sein schien, so lockerte sie über Tee, Gebäck, Willys zwangloser Konversation und dem einen oder anderen kleinen Likörchen doch sichtlich auf. Als Willy scherzhaft fragte, ob man die Schaumbäder auch mal ausprobieren könne, kicherte sie schon. Aah, Willy verstand das Eis zu brechen wie kein zweiter.
    Sie blieb bis spät am nächsten Abend und ist nie zurückgekommen, um ihren Sortimentkoffer abzuholen.
    »Sie war es, die das große >DANKE!< hier quer über den Spiegel geschrieben hat.« Mit feuerrotem Lippenstift.
    »Ah«, sagte Deliah. »Ich hatte mich schon gefragt.«
    Menden blickte mich voller Misstrauen von oben bis unten an. »Sie kommen mir verändert vor«, knurrte er.
    Ich zuckte die Achseln, blickte meinerseits einmal an mir rauf und runter. »Ich meine, ich hätte die gleichen Sachen an wie bei unserem letzten Treffen.« Was nicht ganz stimmte. Letztes Mal hatte ich grünbraune Tarnklamotten unter der Lederjacke getragen, und Gummistiefel, heute waren es Jeans und Cowboystiefel mit außen getragener Stahlkappe. Aber zumindest die Jacke war dieselbe, und das seit mittlerweile einem ganzen Jahrzehnt.
    »Setzen Sie sich.«
    Ich winkte ab, blieb lieber stehen, hielt den alten BeilHelm unter den Arm geklemmt. Hoho hatte mir die Zündung repariert und auch die Beleuchtung, doch die XS sah immer noch aus und fuhr sich auch immer noch wie ein Wrack, und trotzdem wäre ich heute selbst dann damit hierhin gekommen, wenn ich sie hätte schieben müssen.
    Menden setzte sich an seinen Schreibtisch, las ein bisschen in dem einen DIN-A4-Blatt, dann in dem anderen, sortierte sie von hier nach da und wieder zurück. Sprach erst mal nichts weiter.
    Anders als während der Fahrt war ich nun froh, unter der Tacke nur

Weitere Kostenlose Bücher