Der Willy ist weg
geschossen kommen zu sehen, die Reifen jaulten beim Bremsen und Beschleunigen ihren Protest hinaus, und die Federelemente gingen vorne und hinten abwechselnd auf Block. Trotzdem kam es mir so vor, als ob wir stünden, und mir war klar wie nie, dass die Anschaffung einer Elfhunderter unumgänglich wäre, und wenn es mich ruinierte.
Andere Verkehrsteilnehmer verschluckten ihre Zungen und gafften uns hinterher, als ob sie gerade von den vier apokalyptischen Reitern passiert worden wären. Dabei waren wir nur zwei. Ich vorne am Lenker mit einem Messer zwischen den Zähnen - so viel vor noch, heute -und mein Freund Pierfrancesco Scuzzi in unnachahmlicher Gelassenheit hintendrauf. Wenn er mit mir unterwegs ist, sieht er es stets als seine vornehmste Aufgabe an, Leute, die ich gerade geschnitten, ausgebremst, aus dem Weg gedrängt, um ihre Vorfahrt gebracht oder beinahe überfahren habe, durch freundliches Winken wieder mit sich und der Welt zu versöhnen.
Wir umrundeten das Wedaustadion komplett auf dem funkensprühenden Auspuff liegend, und Scuzzi versuchte derweil, sich einen Joint anzustecken.
Ein letzter Fehlzündungsknall weckte den Aushilfsstudenten im Kassenhäuschen aus seinen Tagträumen, und ich hielt ihm ein Foto unter die Nase, während der überhitzte Motor der XS unter mir tickte wie eine rasch ablaufende Zeitbombe. Scuzzi bekam seinen Joint endlich an und blies mir den Qualm ins Genick.
»Wer solln das sein?«, fragte der Typ im Kassenhäuschen, wischte sich eine fettige Strähne aus der Stirn, sah vom Foto zu mir, zu Scuzzi und erhob sich dann ein bisschen aus seinem Stuhl für einen Blick auf unser Gefährt, als dämmere ihm erst Schritt für Schritt, dass wir im Begriff schienen, uns mitsamt einem Motorrad Eintritt verschaffen zu wollen.
»Freund von mir. War bis vor .« Verdammt, was für eine lange Zeit schon! »... zehn, zwölf Tagen öfter hier. Erinnern Sie sich?«
Nö. Und noch so ein Blick auf die XS. »Sie dürfen hier nicht .«
»Lass dir zwei Tickets geben«, sagte ich zu Scuzzi, der abstieg, dann manövrierte ich die Yamaha ein paar Meter zurück und lehnte sie an einen Baum.
»Schlittschuhe können Sie in der Halle mieten«, rief uns der Kassenheini noch nach.
»Toll«, fand Scuzzi.
»Außer im Kontakthof vom Puff kommst du nicht leichter an was vor die Buxe als in der Eishalle, glaub mir«, hatte Willy mir anvertraut und seine neuen Schlittschuhe vom Nagel neben der Türe genommen. »Du musst unbedingt mal mit da hin.«
Ich hatte es dann trotzdem nie getan - Eislaufen verband sich vor meinem geistigen Auge irgendwie beharrlich mit diesen schwuchteligen Eintänzern im Fernsehen - und jetzt war ich letzten Endes dann doch hier gelandet.
Die Eisfläche beschränkte sich, wie ich mit Erleichterung feststellte, auf die Eisfläche. Umgeben von Banden. Überall sonst konnte man mit normalen Schuhen auf gewohntem Untergrund herumlaufen.
»Hey«, fand mein milde gedopter Freund, als wir aus dem eher düsteren Gang heraustraten, hinein in das grelle Licht der Deckenfluter, »scharf hier. Und klasse Musik läuft auch.«
Ich schenkte ihm einen Blick, den ich ausschließlich für solche Gelegenheiten reserviere. Vergeblich. Er kriegt es nie mit. Nie. Selig lächelnd stand er da, nahm die Szenerie in Augenschein und ließ sich >Holyda-hay ...< schrill und mit blechernem Hall und in völlig überflüssiger Lautstärke um die Ohren krähen. >... let's celebra-hate ...<
Madonna. Mein Gott, Madonna. Was soll ich sagen? Seit dieses Popmusik-Wetterfähnchen das erste Mal ihr Cartoon-Enten-Stimmchen erhoben hatte, hielt sie mich in einem Zustand von extremem, an Ekel grenzendem Widerwillen. Um mir beim überall und immerwährenden Erklingen ihrer Liedchen zumindest etwas Erleichterung zu verschaffen, stellte ich mir regelmäßig vor, sie sei meine Nachbarin. Eine Tür weiter. Sozialer Wohnungsbau. Friseuse, arbeitslos. Und verheiratet. Mit einem Kerl, der Nacht für Nacht besoffen nach Hause kommt und sie ordentlich durchlässt. Sie so richtig schön vertrimmt. Blaue Augen, wackelnde Zähne, angeknackste Rippen, die volle Show.
Der Kerl und ich, dachte ich dann immer, wir beide, wir könnten die besten Kumpels werden.
Schön, sagte ich mir mit einem weiteren Seitenblick auf meinen Freund Pierfrancesco, dann schicken wir ihn halt aufs Eis, wenn's ihm hier so gut gefällt.
Und es bedurfte noch nicht mal der Überredung. Ich gab ihm das zweite Foto, das ich dabeihatte - Schulfotograf, und Willy
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