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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Gesichter!
    Schließlich ging sie hin und braute uns zwei hohe Tassen heißen, süßen Balkankaffees, der so stark war, dass er mit je zwei doppelten Cognacs auf Trinkfertigkeit verdünnt werden musste. »Hier«, sagte sie, »trinkt das. Ist doch kalt draußen.«
    Ich roch einmal dran und brauchte anschließend die andere Hälfte der Küchenrolle für den entstehenden Rotzfluss.
    »Bisschen leer hier«, fiel mir nach zwanzig Trompetenstößen und einem Rundblick auf, doch Scuzzis Mama schüttelte nur knapp das Haupt und deutete vielsagend in Richtung der Separees.
    Ein Vorhang teilte sich, und eines ihrer Mädels kam mit einem Tablett herausgestöckelt, eine neue Runde Erdbeersekt und anderer, farbenprächtiger Drinks ordern, also schlürften wir erst mal weiter unseren Kaffee. Ich war etwa beim dritten Schluck, als mir etwas um die Beine strich, und als ich die Tasse absetzte und runtersah, blickten zwei schrägstehende, blaue Augen unter schwarzgekrönten Pinselohren zu mir hoch.
    »Fru-Fru!«, freute sich Scuzzi und hob die Katze auf seinen Schoß.
    Mir riss es beinahe augenblicklich ein Niesen ab, das durch die Kellerbar peitschte wie ein Schuss und in einem hohen, scharfen »Aiiiiiiiii!!!!!« aus einem der Separees gipfelte.
    »Ich hab mich so erschreckt«, entschuldigte sich eine kleine Dunkelhäutige und wischte sich mit dem Handrücken einen Blutstropfen von den Lippen, während Mamma Scuzzi mit dem Verbandszeug unterm Arm an ihr vorbeirauschte wie ein in voller Fahrt befindlicher Löschzug an einem an den Straßenrand gedrängten Fiat.
    Mit dieser ganzen Aufregung dauerte es beinahe eine dreiviertel Stunde, bis wir den Postsack endlich in ihrer Wohnung in der zweiten Etage verstaut hatten.
    So, die Papiere waren sicher untergebracht, jetzt musste ich nur noch mein anderes Sorgenkind loswerden.
    Zwei Uhr war längst vorbei, als wir vor dem windschiefen Wellblechtor in einem der vielen kleinen schlecht beleuchteten Industriegebiete Oberhausens anhielten. Tiefes Bellen und das Scharren von Pfoten gegen Blech begrüßte uns.
    Ich stieg aus, sagte: »Warte einen Moment« zu Scuzzi, zog mich am Tor hoch und schwang ein Bein drüber. Rolls und Royce, Ata Rieses Deutsche Doggen, sprangen in die Höhe, überschlugen sich in der Luft, drehten sich wie wild im Kreis, bellten und geiferten, was das Zeug hielt. Es war schon recht laut, was sie da veranstalteten, aber ich mag Doggen, also schimpfte ich nicht mit ihnen.
    Langsam, vorsichtig, um mir nicht die Plörren zu zerreißen, ließ ich mich auf der anderen Seite herunter. Die beiden umsprangen mich kläffend, verteilten Schaumflocken von ihren Mäulern nach allen Seiten, peitschten die Luft mit ihren Schwänzen.
    »Na, kommt schon her!«, rief ich. »Kommt zu Onkel Krüschel!« Mit ausgebreiteten Armen ließ ich mich auf ein Knie herunter, und sie kamen von beiden Seiten begeistert angehechtet und leckten mir binnen Sekunden die Frisur in einen Irokesen hoch.
    »Zu nichts nütze, diese Viecher«, fand Ata, der mit einer von der rechten Faust gehaltenen und auf der rechten Schulter abgestützten Meterlänge Stahlrohr aus dem Dunkel aufgetaucht war. Es nagt an ihm, doch alle seine Dressurbemühungen haben es nicht geschafft, Rolls und Royce ihre angeborene welpenähnliche Arglosigkeit auszutreiben.
    »Dachte schon, da kommt einer, der was klauen will«, fügte er hinzu, als sei er noch nicht zur Gänze vom Gegenteil überzeugt.
    Ich stand auf und sah mich um. Wer immer, begrüßt von der Stimmgewalt der beiden Hunde, anschließend noch den Nerv besaß, über den Zaun zu klettern, musste schon von einem außerordentlich verzweifelten Verlangen getrieben sein.
    »Tja, Ata«, sagte ich, »das ist halt der Preis, den man zahlt, wenn man sich mit solchen Schätzen umgibt.« Sinnend standen wir einen Moment und betrachteten seine im Licht des Mondes funkelnden Reichtümer.
    >Weißware< (Kühlschränke, Herde, Waschmaschinen), stapelte sich links, >Buntes< (Kupfer, Blei, Zink) lag sortiert in kleineren Haufen in der Mitte, >Stahl< bildete ein rostiges Gebirge im Hintergrund.
    »Es schläft sich schlecht mit dem Neid der Leute, was?«
    »Da kannst du Gift drauf nehmen. Und die Tölen sind auch keine Hilfe.«
    »Weigern sie sich weiterhin, Besucher in Stücke zu reißen?«
    »Stur.« Mit baumelnden Zungen und schaukelnden Klöten staksten die beiden als schwarze Schatten neben uns her, in Richtung auf Atas Behausung, einen schon etwas älteren, nicht mehr hundertprozentig

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