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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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eintrat, sah er kurz hoch.
    »Krüschel, mein Junge, du siehst mitgenommen aus«, fand er. »Du gehörst ins Bett.«
    Ich murmelte was und setzte mich neben ihn. Gemeinsam studierten wir die Beute meines Einbruchs. Im Hintergrund versuchte ein neckisch säuselnder Sänger einen Bruder Louielouielouie davon zu überzeugen, dass er zu nichts tauge.
    »Ich will verratzt sein, wenn ich weiß, was das alles für ein Krempel ist«, meinte Scuzzi. »Und wozu dieser Typ das Zeugs in einem Safe aufbewahrte. Nichts davon sieht aus, als ob man es in eine, tja, Währung umwandeln könnte. In Scheinchen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich frage mich, ob das wirklich als ein Pfand für eine Million durchgeht. Für mich sieht das hier aus wie ... Buchführung.«
    Routiniert pfiff er sich ein Löffelchen Pulver ein, bot mir auch was an, doch ich schüttelte den Kopf. Irgendeinen Wert mussten die Papiere besitzen, sie mussten einfach .
    Der Sänger im Hintergrund ließ von dem Bruder Louielouielouie ab und säuselte jetzt mich an. Ich sei sein Herz, wimmerte er, seine Seele.
    »Und von Buchführung versteh ich nichts. Das ist einer der Nachteile«, fuhr Scuzzi fort, »wenn man wie ich ein Geschäft führt, das ausschließlich in Bargeld abgewickelt wird. Oder als direkter Warenaustausch. Eine, wenn man so will, zutiefst mittelalterliche, ja steinzeitliche Form des Handels. Kauri-Muscheln gegen Felle, Felle gegen Tabak, Tabak gegen Salz, Salz gegen Silbermünzen. An die feineren und moderneren Möglichkeiten der Verwaltung, des Transfers und der Mehrung von Werten wird man so nicht herangeführt. Sicher, es hat steuerliche Vorteile, das liegt auf der Hand, und es ist garantiert auch eine Frage der Größenordnung, davon können wir ausgehen, doch.«
    »Wir müssen das Zeug sehr schnell irgendwo bunkern«, unterbrach ich den für mein Empfinden um diese Uhrzeit etwas sehr regen Fluss seiner Gedanken. »Irgendwo sicher. Vielleicht sollten wir deinen kleinen Kaufladen auch gleich mitnehmen. Mich plagt ein Gefühl. Da bahnt sich Ärger an. Ich muss eine ganze Menge checken, heute Nacht noch, wenn möglich rückwirkend.« Ich kramte den Postsack aus einer Ecke und hielt ihn auf, zu säuselndem Gesang im Hintergrund. Phonetisch unentschieden zwischen dem englischen Cherry und dem französischen Cherie wurde nun eine Schärieschärie Lady angebrunstet. »Irgendetwas braut sich zusammen. Ich fühle es.«
    »Hach, kuck mal, wer da draußen steht! Na, aber nichts wie rein mit euch, ihr Süßen.« Scuzzis Mama klickte das kleine, vergitterte Fensterchen zu und zog stattdessen die eisenbeschlagene Türe auf. »Pierfrancesco, mein Baby!«
    Ihre Stimme vibrierte vor mütterlicher Emotion. »Und Kristof, du kleiner Lauser!« Sie ging mir vielleicht bis zur Schulter, doch das war nicht immer so gewesen. »Wie oft noch muss ich euch sagen, ihr sollt euch öfter bei mir blicken lassen?« Strahlend schloss sie uns in ihre nackten, mütterlichen Arme und drückte uns an ihren gerade mal zur Hälfte bedeckten, urmütterlichen Busen. Ihr Parfüm war von der Quanti- und Qualität, die einem durch eine ungläubige Nase rein- und als geringelte Rauchwölkchen durch die Ohren wieder rausgeht. »Setzt euch. Macht's euch gemütlich!« Einladend klopfte sie auf zwei plüschige Barhocker und schob ab, hinter die Theke. Das blaue Paillettenkleid saß an ihr wie die Spiegelscherben an einer Discokugel und reflektierte die einheitlich rote Beleuchtung als einen Funkenregen von Lila. »Was wollt ihr trinken?« Seit etwa einem Jahr führte sie die Rosalita-Kellerbar unter der Käse-Ecke und ging, wie man so sagt, auf in ihrem Job. »Fanta?« Das Plinkern ihrer schweren Wimpern ließ einen merklichen Windzug durch die Bude wehen.
    Hatte sie >Fanta< gesagt? Für manche Eltern bleibt man, scheint's, ein Leben lang der rotznäsige Bengel in kurzen Hosen, an den sie sich am liebsten erinnern.
    »Ach«, reagierte sie auf Scuzzis und meinen, na, leicht skeptischen Blick, »ich vergesse doch immer wieder, was für große Jungs ihr schon seid!« Selbstkritisch schüttelte sie den Kopf unter einer weißen Lockenperücke, um die Ludwig XIV. sie beneidet hätte. »Cola, also.«
    Erst als Scuzzi und ich einen weiteren, reichlich ratlosen Blick getauscht hatten, platzte sie heraus. Unsere Gesichter! Ha! Es kostete sie bestimmt drei Minuten, sich wieder einzukriegen und obendrein eine halbe Rolle Küchenkrepp im Bemühen, dabei ihr Augen-Make-up im Zaum zu halten. Unsere

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