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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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Zaun.
    »Ich bin kein Verräter«, wiederholte Bertram und schlug Hoogens die Tür vor der Nase zu.
    Hoogens klingelte und klopfte noch eine Weile, aber Bertram machte ihm nicht mehr auf. Hoogens war trotzdem zufrieden. Für den Fall, dass die Begehung von Erich Fehrs’ Grundstück sie nicht weiterbrachte, hatte Hoogens jetzt zumindest eine klare Vorstellung davon, für welche Wohnung er dann bei Wessler einen Durchsuchungsbefehl erwirken würde.

97
     
    Sein Sehnen wuchs und wuchs, und er empfand es mittlerweile als körperlichen Schmerz – wie eine Stelle auf der Innenseite der Backe, wo man sich beim Kauen versehentlich selbst gebissen hatte. Man spürte immer, dass die kleine Wunde da war, und wie von selbst spielte man die ganze Zeit mit der Zungenspitze daran. Sie schmeckte doch so gut. Salzig.
    Er wusste, dass er diesen Schmerz loswerden musste, wenn er das neue Spiel bis zum Ende mitspielen wollte. Sonst würde er nur weiter abgelenkt, und ein Fehler durfte ihm nicht passieren. Er musste jetzt ganz aufmerksam sein, denn er hatte das untrügliche Gefühl, nicht der Einzige zu sein, der sie beobachtete. Dass es da noch jemanden gab, der sie genau im Auge behielt. Nicht überall. Nur in Odisworth hatte er manchmal den Eindruck, er brauche sich nur umzudrehen, um die Person zu sehen, die ihr heimlich folgte. Ein paarmal hatte er sich sogar schon umgedreht, ganz schnell und unvermittelt, aber dann hatte er doch niemanden gesehen. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Der andere Beobachter war da.
    Ob es derselbe war, der sich an seinem Spielzeug zu schaffen gemacht hatte? Um sich Klarheit darüber zu verschaffen, war er zu dem Versteck gegangen, in das er sein Spielzeug schon vor so langer Zeit gebracht hatte. Das war riskant gewesen. Es war zu nah an dem Ort, wo man eine der Frauen gefunden hatte.
    Er hatte sein Spielzeug gezählt, und ein Teil hatte tatsächlich gefehlt. Bei seinem letzten Besuch davor war ihm nur aufgefallen, dass einige der kleinen Dinger die Arme oder die Beine nicht mehr so hielten, wie es ihm am liebsten war. Jemand hatte mit ihnen gespielt. Erst hatte ihn das richtig wütend gemacht, und er sah alles um sich herum nur noch wie durch einen roten Schleier. Er schlug eine Weile wahllos und brüllend um sich, mit einem morschen Ast, den er von einem umgestürzten Baum abriss. Bei jedem Hieb brachen Teile von dem Ast ab und flogen in alle Richtungen, und er stellte sich vor, es seien Fleischbrocken, die er mit einem Beil aus dem Leib des anderen heraushackte. Als von dem Ast nur noch ein Stumpf übrig war, war sein Zorn von ihm abgefallen und an seine Stelle trat ein Gedanke, den er wunderschön fand: Er war nicht allein. Womöglich gab es irgendwo dort draußen noch jemanden, der das Spiel, von dem niemand etwas wissen durfte, genauso gern spielte wie er und Kirsten.
    Kirsten … Am liebsten wäre er jetzt schon bei ihr. Doch das ging nicht. Es war zu früh. Aber so blieb ihm wenigstens noch genügend Zeit für die Frau, die er sich vor ihr holen konnte, um den Schmerz seines Sehnens endlich zu lindern.

98
     
    Als die Windräder am Horizont auftauchten, wusste Jule wieder, warum sie die Stelle bei Zephiron angenommen hatte. Die Räder hatten etwas Erhabenes – schlanke Riesen, denen die Welt zu Füßen lag. Und sie waren der Beweis, dass der Mensch sich die Kräfte der Natur nutzbar machen konnte, ohne irreparablen Schaden an seiner Umwelt anzurichten. Es war ihr unverständlich, wie man finden konnte, ein Windrad sei hässlich und würde die Landschaft verschandeln. Zukünftige Generationen würden Windrädern mit der gleichen nostalgischen Rührung gegenüberstehen, die heutzutage alte Windmühlen im durchschnittlichen Betrachter auslösten – so viel stand für Jule fest.
    Bei drei Rädern vor ihr drehten sich die Flügel in der Brise vom nahen Meer, beim vierten waren sie reglos erstarrt.
    Sie bog von der Landstraße auf einen kleinen Feldweg durch die Wiesen ab. Rund ein Dutzend Odisworther hatten Jule zugesagt, sich ein Windrad einmal aus nächster Nähe anschauen zu wollen. Größtenteils handelte es sich um Angehörige jener beiden Kategorien von Dorfbewohnern, die Jule die Skeptiker und die Zögerlichen getauft hatte. Da der Raum in der Gondel sehr begrenzt war, hatte sie die Leute auf drei Gruppen verteilt – eine für den Vormittag und zwei für den Nachmittag. Jule hatte sich einen regeren Zulauf erhofft. Das mangelnde Interesse lag jedenfalls nicht an einer langen

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