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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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Rauhaardackels – glotzte sie vorwurfsvoll aus einem trüben Auge an. Das andere fehlte ihm, und an seiner Stelle wucherte narbiges Gewebe.
    »Herr Mangels, nehme ich an.« Jule streckte dem Bürgermeister, dessen Namen sie von seinem Platzkärtchen abgelesen hatte, die Hand entgegen. »Jule Schwarz von Zephiron. Der Ersatz für Herrn Bertram. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Ich musste eine Umleitung nehmen. Die Landstraße war gesperrt.«
    »Das macht gar nichts, Frau Schwarz«, erwiderte Mangels im verbindlichen Ton des stammtischgestählten Kommunalpolitikers. »Auf so eine hübsche Dame warten wir immer gern. Aber ehrlich gesagt, bin ich etwas überrascht, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.«
    »Überrascht? Wieso denn das?«
    »Wir hatten eigentlich mit Andreas gerechnet.«
    Jule quittierte den Hinweis mit einem Lächeln. »Und ich hatte Herrn Bertram eigentlich darum gebeten, Ihnen eine E-Mail zu schreiben, in der er mich heute ankündigt.«
    »Das muss er vergessen haben«, sagte Mangels.
    Jule machte sich eine geistige Notiz, mit Andreas in Zukunft alles Wichtige persönlich zu besprechen, anstatt sich darauf zu verlassen, dass er auf Memos reagierte. »Sollen wir anfangen?«
    Mangels führte sie an ihren Platz, während die letzten Dorfbewohner noch ihre Pappbecher leerten und gemächlich die Lücken in den Sitzblöcken füllten. Jule nickte der Frau links neben sich – einer etwas verhärmten Mittvierzigerin mit einem Seidenschal um den Hals – knapp zu und packte ihren Laptop aus. »Einen Beamer haben Sie nicht zufällig da?«, erkundigte sie sich bei Mangels.
    Der Bürgermeister schnitt eine Grimasse, als hätte sie ihn nach seinen sexuellen Präferenzen gefragt. »Äh, nein. Andreas hat so was nie gebraucht.«
    Selbstverständlich nicht. Wahrscheinlich hatte er sich auf seinen natürlichen Charme verlassen, als es darum ging, die Odisworther für den Windpark zu gewinnen. Leider war es mit seinem Charme nicht weit her, und wegen genau solcher unprofessionellen Herangehensweisen hatte man ihm das Projekt abgenommen, bevor er es endgültig gegen die Wand gefahren hätte. »Es wird auch so gehen«, beruhigte Jule Mangels und fuhr ihren Rechner hoch. Dann gab es heute Abend eben kein Powerpoint-Karaoke. Wie in der guten alten Zeit, als Worte noch mehr gezählt hatten als ein paar bunte Diagramme und beeindruckende Bildchen auf einer Leinwand.
    Sie öffnete die Präsentation, die sie vorbereitet hatte, trotzdem. Als Gedächtnisstütze war sie allemal gut. Jule ließ den Blick über ihr Publikum schweifen. Was sie in den Gesichtern las, war eine Mischung aus prinzipiellem Misstrauen gegenüber Fremden und grundlegender Skepsis, was Veränderung anbelangte. Egal. Sie hatte in ihrer Karriere schon härtere Nüsse geknackt, als eine Ansammlung abweisender Dörfler davon zu überzeugen, dass der Bau des größten Windparks Deutschlands das Beste war, was ihnen je hatte passieren können.
    Während sie das fehlerhafte Namenskärtchen entfernte, begann Mangels, sie unbeholfen vorzustellen. Die Tatsache, dass Andreas heute nicht erscheinen würde und man mit ihr vorliebnehmen musste, löste Gemurmel aus.
    Sie trank noch einen Schluck von dem stillen Wasser, das ihr der Bürgermeister eingoss, stand auf und begann ihren Vortrag mit der Frage: »Was ist Wind?«
    Erwartungsgemäß verdrehten einige der Dörfler zunächst die Augen, doch Jule hangelte sich geschickt von einer pathetischen Plattitüde zur nächsten. Sie hatte in ihrem Job eines rasch gelernt: Bei Veranstaltungen wie diesen hing der Erfolg nicht davon ab, wie nah man sich an den Fakten orientierte. Fakten waren etwas für Anfänger. Es ging einzig darum, den Leuten genau das zu erzählen, was sie hören wollten – nur in schöneren Sätzen, als sie sie jemals selbst hätten formulieren können.
    Jule war bereits bei einer der entscheidendsten Stellen angelangt – »Umweltschutz ist nie ein Minusgeschäft«, gefolgt von »Jeder hier im Saal wird vom Windpark profitieren« –, als ein Mann in einer grünen Windjacke die Turnhalle betrat. Erst hielt sie ihn für einen Nachzügler, der sich noch mehr verspätet hatte als sie selbst. Dann jedoch schritt er schnurstracks nach vorn und zog sämtliche Blicke auf sich. Und selbst Jule musste eingestehen, dass der Störenfried alles andere als unansehnlich war: breite Schultern, freches Spitzbärtchen, kurzes dunkles Haar, eine anziehende Entschlossenheit im Blick.
    »Tut mir leid, dass ich

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