Der Wind bringt den Tod
tot. Es lag in der Ecke des Verschlags, die Schnauze unter das Stroh gewühlt.
Erich Fehrs stellte den Eimer mit Kraftfutter ab, den er umsonst in den Stall geschleppt hatte. Sein altes Kreuz knackte, als er in die Hocke ging, um den Leib des Ferkels zu betasten. Es war schon kalt. Was für ein blödes Vieh! Da rettete er es vor seinen Geschwistern, und dann ging es trotzdem ein. Er besah sich die blutigen Ohrstummel, konnte aber keine Anzeichen einer Entzündung erkennen. Keine Schwellungen, kein Eiter. Woran war es krepiert? An seiner Einsamkeit?
Fehrs schüttelte den Kopf. Es gab Tage, an denen er sich wünschte, er könnte auch einfach an seiner Einsamkeit krepieren. Und er war einsam. Furchtbar einsam sogar. Ein Ausgestoßener, zumindest bei nahezu sämtlichen Weibern im Dorf. Und warum? Weil ihm ein einziges Mal vor versammelter Mannschaft die Sicherungen durchgebrannt waren.
Ein einziges Mal. Bei der Silberhochzeit der alten Griems war das gewesen. Wie lange war das her? Fünfzehn Jahre? Zwanzig?
Er hatte damals schon richtig einen im Tee gehabt. Er war von der Toilette zurückgekommen, Margarete hatte an ihm heruntergesehen und angefangen, laut und schrill zu lachen. Weil er einen nassen Fleck auf der Hose hatte. Nicht mal vom Pissen, sondern weil er unterwegs mit Mangels zusammengestoßen war und der ihm was von seinem Bier auf die Hose gekippt hatte.
Ein gottverdammtes einziges Mal. Was hatte Margarete auch so dumm gelacht? Wenn sie nicht gelacht hätte, wäre ihm nicht die Hand ausgerutscht. So einfach war das. Er erinnerte sich genau daran, was anschließend passiert war. Wie er sich darüber erschrocken hatte, wie deutlich sich der Abdruck seiner Finger auf ihrer Wange abgezeichnet hatte. Wie es plötzlich ganz leise im »Dorfkrug« geworden war, weil dem Alleinunterhalter vorne neben dem Eingang die Finger auf den Tasten eingefroren waren. Er war ohne ein Wort gegangen. Raus aus der Tür. In den Schnee. Es war Winter gewesen, und es hatte ungewöhnlich viel Schnee gelegen. Er war den ganzen Weg nach Hause gelaufen. Seine Hand hatte gebrannt, vom Schlag und von der Kälte. Er hatte da schon geahnt, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Man schlug seine Frau nicht. Nicht in der Öffentlichkeit. Bei einem daheim – dort, wo es keiner mitbekam und wo es keinen etwas anging – war das etwas anderes. Er kannte einige Männer, die ihre Frauen in ihren eigenen vier Wänden viel gröber behandelten. Aber nicht in der Öffentlichkeit.
Ein einziges Mal.
Er hörte das Tapsen von Pfoten hinter sich und drehte sich um. Der Hund merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Er hielt den Kopf gesenkt und kam förmlich zu Fehrs in den Verschlag gekrochen. Das Tier machte einen weiten Bogen um den Bauern, bis es das tote Ferkel in der Ecke entdeckte. Seine Instinkte siegten schließlich über seine Angst, und der Hund fing an, am Ferkel zu schnüffeln. Hinten, am abgefressenen Schwanz.
Dieser Scheißköter!
Eine seltene Form des Zorns, die die wenigsten Odisworther je an ihm gesehen hatten, kroch in Fehrs hoch. Nicht das unvermittelte, heiße Auflodern einer unbändigen Wut, bei dem ihm alles vor den Augen verschwamm. Das kannten sie alle. Nein, sein Zorn war kalt und glasklar. Kaum jemand war je Zeuge dieser Seite an ihm geworden. Bis auf seine Frau, und die hatte gewusst, wie sie ihn in solchen Momenten zu nehmen hatte.
Dieser Scheißköter …
Er war schuld daran, dass er sich jetzt überlegen musste, was er mit Margarete machte. Diesen Entschluss konnte er jetzt noch nicht fällen. Ihm fehlte die Kraft dazu. Aber er konnte etwas anderes tun.
Fehrs ging hinaus auf den Hof zu der Hundehütte, die ihm der Bürgermeister und seine Schergen zusammen mit dem Hund geschenkt hatten. Er rief den Hund zu sich, befahl ihm, Platz zu machen, und band ihn an der Hütte fest. Der Hund wedelte unterwürfig mit dem Schwanz. Das Wedeln wurde heftiger, als Fehrs den Futternapf aufhob.
Fehrs betrat sein Haus und füllte zwei Kellen des Dosengulaschs, das er sich mittags aufgewärmt hatte, in den Napf.
Dieser Scheißköter. Er hätte ihn fast dazu gezwungen, sich zu verraten.
Es war alles so schrecklich ungerecht. Margarete war die einzige gute Sache, die ihm in seinem ganzen Leben passiert war, und wie hatte die geendet? Jetzt hockte er allein auf seinem Hof, und keiner kam ihn besuchen. Der Hund winselte aufgeregt, als er sein Herrchen mit dem vollen Napf auftauchen sah. Fehrs stellte den Napf ab, und der Köter
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