Der Wind bringt den Tod
Esbert.«
Schwillmer runzelte die Stirn.
»Es gibt im ganzen Dorf niemanden, der so heißt.« Jule zuckte die Schultern. »Niemanden. Ich bin alle Namen im Telefonbuch durchgegangen. In Odisworth wohnt kein Esbert.« Der Abgleich der Namen auf der Liste mit den Einträgen im Telefonbuch war für Jule am vorigen Abend eine gute Übung gewesen, um ihre Nerven vor dem Treffen mit ihrem Chef zu beruhigen.
Schwillmer wedelte kurz mit dem Ausdruck. »Ist die von Andreas?«
»Ja.«
Er warf das Papier achtlos auf seinen Schreibtisch. »Der kommt doch von da. Wer weiß, was für komische Spitznamen diese Hinterwäldler füreinander haben.«
»Ein Spitzname?«
»Könnte schon sein. Schau doch mich an.« Er zog sich seine Krawatte gerade. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Ja, sicher.«
»Die anderen Jungs im Internat haben mich nie Norbert genannt. Für die war ich immer nur Schwille.« Jule sah ihm an, dass er einen winzigen Moment in alten Erinnerungen an seine Schulzeit schwelgte, bevor ihm wieder einfiel, weshalb sie überhaupt auf dieses Thema gekommen waren. »Aber unter Schwille würdest du mich natürlich in keinem Telefonbuch der Welt finden.«
Er hatte recht. Esbert konnte sehr wohl ein Spitzname sein. Noch dazu traute Jule Andreas jederzeit zu, diesen Spitznamen auch in seinen Akten über Odisworth und Baldursfeld verwendet zu haben. »Okay, dann werde ich mich mal im Dorf nach einem Esbert erkundigen. Ich könnte Mangels fragen. Der ist bestimmt bestens informiert.«
Schwillmer hob einen warnenden Zeigefinger. »Tu das bitte nicht. Das rückt uns nur in ein schlechtes Licht bei ihm. Das sieht so aus, als würden wir schludrige Arbeit machen. Gibt es nicht noch jemand anderen, den du fragen kannst?«
Jule teilte Schwillmers Sorge um den guten Ruf der Firma zwar nicht – Zephiron war bei den meisten Dörflern ohnehin nicht sehr beliebt –, aber sie überlegte trotzdem, welche alternativen Informationsquellen sie hatte. »Ich kann es bei der Pension versuchen, in der ich untergebracht bin. Die Hausdame weiß über alles und jeden Bescheid.« Kaum hatte Jule diesen Gedanken ausgesprochen, wurde ihr bewusst, dass Frau Jepsen wegen ihres schwatzhaften Naturells wahrscheinlich wenig Stillschweigen über eine solche Erkundigung bewahren würde. Überhaupt neigten ihrer Auffassung nach die Odisworther generell zum Tratschen. Eine Erkundigung nach Esbert würde also zwangsläufig die Runde machen. »Wir verkomplizieren die Lage gerade unnötig«, fiel ihr auf. »Ich könnte doch einfach bei Andreas nachhorchen.«
»Viel Glück«, wünschte ihr Schwillmer in einem bissigen Ton.
»Viel Glück?«, gab sie unschlüssig zurück.
»Der feine Herr Bertram«, erklärte Schwillmer, »ist seit gestern nicht mehr zur Arbeit erschienen. Er hat morgens angerufen und gesagt – Zitat – ›Ich fühle mich im Moment nicht so gut‹. Das war alles. Er beantwortet keine E-Mails, hat sein Handy ausgeschaltet und geht auch zu Hause nicht ans Telefon. Du wärst nicht die Erste, die versucht, ihn zu erreichen, und dabei scheitert.« Schwillmer schnaubte verächtlich. »Er betreibt gerade eine Totalverweigerung. Lange lasse ich mir das nicht bieten.«
Jule ließ seine Ausführungen unkommentiert. Ungeachtet dessen konnte sie sich nicht gegen ein unangenehmes Grummeln in der Magengrube wehren. Sie hatte das irrationale Gefühl, als könnte das Telefonat, in dem Andreas sie vor den Odisworthern gewarnt hatte, das letzte Lebenszeichen ihres Kollegen gewesen sein.
»Genug über vergossene Milch gejammert. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Andreas ist alt genug, um zu wissen, was er tut.« Er winkte ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Bebauungsplan. »In einer Sache liegst du übrigens nicht ganz falsch.« Sein Finger bohrte sich in die Mitte des dritten roten Kreises. »Wir verkomplizieren die Lage unnötig. Hier steht doch ein Name.« Er beugte sich vor, um die kleinen Buchstaben zu entziffern. »Nissen. Was ist denn mit dem? Und warum steht da nicht Esbert?«
So schlau, sich die Namen auf dem Bebauungsplan anzusehen, war Jule auch gewesen. Das hatte allerdings nicht zu einer Lösung des Rätsels um Esbert geführt, sondern nur dazu, dass noch ein weiteres Mysterium hinzugekommen war. »Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wer dieser Nissen auf dem Bauplan ist. In der Liste und in den sonstigen Unterlagen, die ich von Andreas habe, taucht er kein einziges Mal auf. Und er steht ebenfalls nicht
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