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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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der Lack abblätterte, und stieg aus. Bei näherem Hinsehen täuschte der idyllische Eindruck: In einer Ecke des Hofs lag ein Haufen zersplittertes Holz, der sich nur mit Mühe als demolierte Hundehütte identifizieren ließ, und das Haupthaus war offenbar seit einiger Zeit einem langsamen Siechtum überlassen. Das Fachwerk war verwittert, das Reet auf dem Dach von Moosen und Flechten überzogen und die Fenster vor Dreck nahezu vollkommen blind. Über der Szenerie des unaufhaltsamen Verfalls lag wie ein feiner Schleier der stechende Geruch von Schweinemist, und der Wind trug aus Richtung des Stalls das gedämpfte Grunzen und Quieken der Tiere heran. Jule konnte verstehen, weshalb es Frau Fehrs hier nicht mehr ausgehalten hatte.
    Sie klingelte an der Haustür, vor der drei Paar schlammverkrustete Stiefel standen und das »Willkommen« auf der abgewetzten Fußmatte kaum noch zu erkennen war. Nichts rührte sich. Sie schaute skeptisch zu den Ställen. Es war nahe liegend, dass Fehrs sich gerade um das Vieh kümmerte – Füttern, Ausmisten, oder welchen Pflichten man als guter Schweinebauer sonst noch nachzukommen hatte –, aber sie verspürte nicht die geringste Lust, auch nur einen Fuß in die Ställe zu setzen. Sie wollte die Tiere nicht sehen, die irgendwann als Schnitzel oder Haxe enden würden. Und die Vorstellung, Fehrs inmitten der stinkenden und sicher düsteren Behausung seiner Schweine zu begegnen, löste einen heimlichen leisen Schrecken in ihr aus: Fehrs war einer der Verdächtigen in einem Mordfall. Schweine waren Allesfresser mit kräftigen Kiefern. Wenn er wirklich der Mörder war und er beschloss, ein neues Opfer zu finden, warum dann nicht die Frau, die bei ihm im Stall auftauchte, wo sie völlig unbeobachtet waren und er ihre Leiche nach der Verrichtung seiner Gräueltat ohne viel Aufhebens entsorgen konnte? Wenn er seinem Vieh den grausigen Leckerbissen vorsetzte, machte er jede Verfolgung von vornherein schier unmöglich. Ohne Leiche gab es bekanntermaßen auch keinen Mord. Jule schüttelte diesen Gedanken von sich ab. Sie musste sich auf ihre Arbeit konzentrieren, sonst konnte sie gleich einpacken.
    Sie versuchte, durch ein Fenster neben der Tür ins Haus hineinzuspähen. Der Dreck auf der Scheibe machte ihren Plan zunichte: Durch den Schleier konnte sie nur grobe Umrisse erkennen, als würde sie durch die Linse einer übergroßen Kamera blicken, auf die ein Riese seinen fettigen Daumen gedrückt hatte.
    Sie entschied sich, an einem Jägerzaun entlang, bei dem nur noch jede dritte Latte vorhanden war, ums Haus herumzugehen. Sie war gerade um die erste Ecke gebogen, wo Mücken über einer Tonne mit fauligem Wasser tanzten, als sie Geräusche hörte. Ein kurzes Schaben, gefolgt von einem lang gezogenen Ächzen und einem gedämpften Schlag wie von einem Stein, der auf weichen Untergrund fiel. Dann wiederholte sich alles – Schaben, Ächzen, Schlag. Sie blieb stehen. »Herr Fehrs?«
    Schaben, Ächzen, Schlag.
    »Herr Fehrs?«
    Schaben, Ächzen, Schlag.
    Sie nutzte einen Stapel Brennholz als Deckung und lugte in den Garten hinter dem Haus.
    Schaben, Ächzen, Schlag.
    Im ersten Moment dachte Jule, der Mann würde ein Beet umgraben. Als sie den Haufen feuchter Erde bemerkte, den er Schaufelladung um Schaufelladung abtrug, begriff sie, dass er nichts um grub. Er be grub vielmehr etwas, das in einem Loch zu seinen Füßen gebettet war.
    Mit einer Mischung aus Faszination und Grauen beobachtete sie die Szene einen Augenblick lang. Trotz allem, was sie bisher über ihn in Erfahrung gebracht hatte, bemerkte Jule, dass Erich Fehrs in jüngeren Jahren ein attraktiver Mann gewesen sein musste. Inzwischen jedoch war davon nur noch eine Ahnung übrig. Zu sehr hatten harte Arbeit und Alkohol den Körper dieses Menschen gezeichnet. Was man früher an ihm sicher schlank genannt hatte, wirkte nun ausgezehrt und hager. Sein schwarzes Haar, das nur vereinzelt graue Strähnen aufwies, war voll, aber ungewaschen. Da er nur eine Latzhose ohne Hemd oder T-Shirt darunter trug, konnte Jule deutlich sehen, wie sich sonnengegerbte Haut immer noch straff über spitze Knochen spannte.
    Schaben, Ächzen, Schlag.
    Schaben, Ächzen – er rammte die Schaufel in den Erdhaufen und drehte sich um. So zielsicher, als wüsste er schon die ganze Zeit über, dass sie da war, bohrte sich der Blick seiner dunklen Augen in ihre. Jule erstarrte.
    Wie in Zeitlupe steckte sie die Hand in ihre Rocktasche und spürte, wie das Metall des

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