Der Wind bringt den Tod
Haut unter den wenigen verbliebenen Fäden sehen. Er trug nur einen Schuh, der andere Fuß war nackt.
Stefan Hoogens konnte von Glück reden, dass er Fehrs überhaupt gefunden hatte. Er hatte vorn an der Haustür geklingelt. Unter gewöhnlichen Umständen wäre er unverrichteter Dinge wieder abgezogen, aber die Vorwürfe des Polen hatten ihm keine Ruhe gelassen. Deshalb war er ums Haus herumgegangen, und deshalb blickte er nun auf Erich Fehrs hinunter, der allem Anschein nach die ganze Nacht hier im Freien verbracht hatte.
Smolski hatte Hoogens vorgeworfen, Details über den laufenden Fall an Dritte weitergegeben zu haben. Natürlich ließ Hoogens bei seinen Ermittlungen auch mal fünfe gerade sein, aber Einzelheiten an seine Kusine weiterzuerzählen? Er war doch nicht völlig bescheuert. Er hatte den Polen zusammengestaucht, und wenn ihr Gespräch gestern Abend unter vier Augen und nicht am Telefon stattgefunden hätte, wäre die Sache möglicherweise eskaliert. Ja, es war bedenklich, dass die Pastorin Smolskis Pseudo-Informantin gegenüber vertrauliche Details ins Spiel gebracht hatte, da musste er dem Polen zustimmen. Eine Sache hatte Smolski allerdings übersehen: Die Leiche war von zwei Dorfbullen gefunden worden, von denen einer aus Odisworth stammte. Marko Assmuth. Der stand als Nächstes auf Hoogens’ Liste, sobald er hier mit Fehrs fertig war.
»Herr Fehrs?« Hoogens tippte die nackte Sohle des Bauern mit der Schuhspitze an. »Hallo? Herr Fehrs?«
Nach dem dritten Antippen regte sich der Alte schließlich. Er hob den Kopf an und schaute aus zusammengekniffenen Augen zu Hoogens hoch. »Ja?«
»Hauptkommissar Stefan Hoogens. Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
Fehrs brummte etwas Unverständliches, das verdächtig nach einem Schimpfwort klang. Er setzte sich mühsam auf, hustete und spie einen Ballen Schleim neben sich ins Gras. In langsamen ungelenken Bewegungen quälte sich der Bauer auf. »Ich muss pissen«, kündigte er an und wankte in Richtung Hintertür des Hauses davon.
Hoogens wartete im Garten auf ihn. Fehrs stank wie eine ganze Schnapsbrennerei, und er ging davon aus, dass es drinnen noch viel schlimmer roch. Hoogens hasste Säufer. Aus gutem Grund. Sein Vater war einer gewesen – einer von der Sorte, die mit genügend Promille im Blut bei jedem kleinsten Anlass explodierte. Hoogens hatte regelmäßig Dresche von ihm bezogen. Mit sechzehn schlug er zurück – das erste und einzige Mal. Sie prügelten sich gegenseitig die Gesichter blutig, und die Schwester, die ihn anschließend in der Notaufnahme verarztete, fing fast an zu heulen. Dann zog Hoogens zu seiner Tante nach Husum und wechselte nie wieder ein Wort mit seinem Vater. Er war nicht einmal auf der Beerdigung dieses Drecksacks gewesen.
Hoogens machte ein paar ziellose Schritte durch den Garten, um sich abzulenken. Er wollte jetzt nicht an seinen Vater denken. Er freute sich, eine auffällige Stelle mit einem kleinen Hügelchen relativ frisch aufgeworfener Erde zu finden. Er stand noch davor, als Fehrs von seinem Toilettengang zurückkehrte.
»Was haben Sie denn da begraben?«, fragte er den Alten.
»Meinen Hund.« Fehrs zündete sich eine Zigarette an. »Das Vieh war krank. Aber Sie wollen mit mir doch nicht über meinen Hund reden, oder?«
»Nein«, erwiderte Hoogens ehrlich. Er sparte es sich, Fehrs zu erklären, dass man seinen toten Hund eigentlich nicht bei sich im Garten begraben durfte.
»Ich weiß, warum Sie mich verdächtigen«, sagte Fehrs abschätzig.
»So?«
»Weil die Leiche auf meinem Land gefunden wurde.«
Hoogens kannte diesen Tonfall gut. Die überhebliche Rechthaberei eines Säufers, die er in seiner Jugend so oft erduldet hatte. Es würde ihm Spaß machen, Fehrs eine reinzuwürgen. »Nein, da sind Sie nicht ganz auf dem richtigen Dampfer.« Zufrieden nahm er Notiz, wie sich Fehrs’ Stirn in Falten legte. »Ehrlich gesagt machen wir uns Gedanken über den Verbleib Ihrer Frau.«
»Was hat meine Frau damit zu tun?«
»Sie war groß und blond.« Hoogens fixierte den Alten gnadenlos. »Genau wie die Tote aus dem Wald.«
»Meine Frau hat mich verlassen.« Fehrs wich Hoogens’ Blick aus, indem er hinüber zu der Brombeerhecke sah, vor der er gerade noch gelegen hatte. »Ich war ihr nicht mehr gut genug. Sie hat sich eines schönen Tages aus dem Staub gemacht und mich sitzen lassen.« Er fuhr fahrig mit seiner Zigarette durch die Luft. »Einfach ab durch die Mitte. Nur mit dem Allernötigsten.
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