Der Wind der Erinnerung
gutem Leben. Sollten sie doch alle grün vor Neid werden, weil sie nun eine reiche Frau war.
Ein heißer Wind zerrte an ihrem Hut, und sie hielt ihn mit der Hand fest. Dann überquerte sie die Straße und klingelte. Leo öffnete und schob sie in den kühlen Flur.
»Beattie, was für eine Freude! Sie sehen wunderbar aus. Kommen Sie doch herein.«
Er führte sie in ein enges Arbeitszimmer mit polierten Dielen und einem Eichenschreibtisch, der kaum ins Zimmer passte. Er stand gegen das Fenster gedrängt, von dem man auf das wuchernde Gebüsch des Gartens blickte. Leos Bart war inzwischen fast ergraut, und seine Finger waren gelb vom Nikotin. Im Arbeitszimmer roch es stark nach Tabak.
Nachdem sie sich eine Zeitlang unterhalten hatten, erkundigte sich Leo nach Lucy, und Beattie kam zur Sache.
»Wegen ihr bin ich hier. Ich will das alleinige Sorgerecht. Notfalls gehe ich vor Gericht.«
Leo nickte. »Das könnte teuer werden.«
»Ich kann es mir leisten.«
»Sie könnten auch verlieren. Möglicherweise wird man Ihr Umgangsrecht einschränken. Die Gerichte werden Sie nicht günstig beurteilen. Henry ist verheiratet, Sie sind es nicht.«
»Ein Mädchen sollte bei seiner Mutter sein.«
Leo wollte etwas sagen, verkniff es sich aber. »Meine Warnungen vom letzten Mal gelten noch immer.«
»Ich weiß. Aber ich will es dennoch versuchen. Ich habe eine Vergangenheit, auf die ich nicht stolz bin. Aber die hat Henry auch. Ich könnte notfalls Zeugen benennen. Billy Wilder, Doris Penny, die Frauen, denen das Geschäft gehörte, in dem er hohe Schulden angehäuft hatte. Wenn es sein muss, auch Zeugen aus Glasgow. Ich war damals erst achtzehn und er schon dreißig!«
Leo lehnte sich zurück und blickte sie nachdenklich an. Schließlich sagte er: »Schreiben Sie das alles in einem Brief nieder. Lassen Sie sich Zeit dabei. Schreiben Sie langsam und sorgfältig, und listen Sie die Namen der Leute auf, die Sie unterstützen würden. Sobald ich den Brief erhalte, werde ich die Sache in die Wege leiten.«
Sie stand auf und gab ihm die Hand. »Vielen Dank. Ich bin froh, Sie auf meiner Seite zu wissen.«
Spät in der Nacht wachte Beattie auf. Es war so heiß, dass sie das Fenster offen gelassen hatte. Im Schlaf hatte sie sich freigestrampelt. Doch wovon war sie aufgewacht? Von der Hitze?
Nein, es war etwas anderes. Dann bemerkte sie den Brandgeruch.
Sie sprang aus dem Bett, beugte sich aus dem Fenster und schnupperte. Der Wind wehte heiß und kräftig und trug den Geruch herbei.
Sie zog ihren Morgenmantel über und eilte nach unten, öffnete die Hintertür und lief auf die Koppel. Jetzt konnte sie die Felder im Norden sehen, den Hügelkamm dahinter. Der in Rauchwolken gehüllte Himmel erglühte wie Bernstein. Der Eukalyptuswald stand in Flammen.
Beattie erstarrte und horchte, wie das Laub der Bäume hinter dem Haus laut raschelte. Der Wind wehte aus Nordost. Von dort würde das Feuer kommen.
Schreiend rannte sie zum Schererhäuschen. »Charlie! Charlie!« Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen. Es war ein furchteinflößendes Geräusch, wie vorbeidonnernde Züge. War es der Lärm des Feuers? Abby und Birch waren verängstigt, traten gegen die Stallwände, aufgeschreckt vom Brandgeruch. »Ganz ruhig!«, rief sie ihnen zu. Ihr Herz hämmerte. Charlie würde sicher wissen, was zu tun war.
Er kam ihr an der Tür entgegen, das Gesicht weich und verschlafen. Als er nach dem Grund für die nächtliche Störung fragen wollte, erkannte er die Lage schon selbst.
»Himmel, Beattie!« Er rannte los, gefolgt von den Hunden. »Du musst Abby schnell satteln und so viele Tore wie möglich öffnen. Nimm die Hunde mit, aber du brauchst die Schafe nicht zu treiben, die merken es von selbst.«
»Fahren wir nicht mit dem Auto weg?«
Er wandte sich um. Seine Augen funkelten in der Dunkelheit. »Willst du alles verlieren?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann bleiben wir.«
Beatties Herz hämmerte gegen die Rippen. Sie eilte in den Stall und sattelte mit zitternden Händen das nervöse Tier. Birch stürmte los, sowie die Tür offen stand, und galoppierte nach Süden. Beattie schaffte es kaum aufzusteigen, weil Abby den Kopf hin und her warf und auf der Stelle tänzelte. Sie sprach beruhigend auf sie ein, obwohl sie selbst am liebsten vor Angst geschrien hätte. Was um Himmels willen sollte sie tun, wenn sie alles verlor? Das Haus? Sie könnte es nie wiederaufbauen. Die Schafe? Selbst wenn sie neue Tiere kaufte, fänden sie auf den
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