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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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und ihr Mann hatten zu Beginn des Jahres Jimmy Farquhars Farm gepachtet und waren gute Freunde geworden. Ihre Tochter Lizzie war so alt wie Lucy, und die beiden verbrachten in den Ferien jede Minute zusammen, tobten über die Weiden, bauten sich Höhlen und buken Matschkuchen.
    Als sich Rosella ans Klavier setzte, »Jingle Bells« anstimmte und alle einfielen, legte Beattie den Arm um Lucy und schaute von einem Gesicht ins andere. Ihr ganzes Weihnachtsglück. Zwei erfolgreiche Jahre bei der Schur und ein wachsendes Zusatzgeschäft mit Damenkleidung hatten ihr die finanzielle Sicherheit gebracht, von der sie so lange geträumt hatte. Das Klavier, der kleine Lastwagen, die gläsernen Weihnachtsdekorationen. Damit hatte sie sich sogar Henrys widerwilligen Respekt erkauft und ebenso die Erlaubnis, dass Lucy ein halbes Jahr bei ihr verbringen und von einer Gouvernante unterrichtet werden durfte. Allerdings hatte das Leben auf der Farm sie so sehr abgelenkt, dass sie nur wenig lernte, und das war Molly nicht entgangen.
    »Aber im Januar muss sie wieder richtig zur Schule gehen«, hatte Molly besorgt gesagt. Molly wusste, dass sie Lucy allmählich verlor, doch Beattie hatte kein Mitleid mit ihr. Es würde furchtbar sein, ihre Tochter nach so langer Zeit wieder herzugeben, aber sie wusste, dass sie langsam und unwiderruflich dabei war zu gewinnen.
    Eines jedoch hatte sie sich mit dem finanziellen Erfolg nicht erkaufen können: ein zufriedenes Herz. Charlie arbeitete noch immer für sie, war aber wieder ins Schererhäuschen gezogen. Sicher, er hatte erlaubt, dass sie ihm ein richtiges Bett, einen kleinen Schreibtisch und einen Schrank kaufte, doch er blieb nach wie vor distanziert. Im Grunde bestand wenig Bedarf, einander zu begegnen. Er kümmerte sich um seine Seite des Geschäfts und sie um ihre. Seit er ihr den Ballen Stoff geschenkt hatte, hatte es keine weiteren Gesten der Zuneigung gegeben. Er lebte nur jenseits der Koppel, hätte aber auch eine Million Meilen entfernt sein können. Sie versuchte, sich nichts daraus zu machen. Meist konnte sie ihre Gefühle im Zaum halten. Und doch war sie keinem Mann begegnet, der es mit ihm aufnehmen konnte.
    Charlie sah, wie ihre Augen durchs Zimmer wanderten, und lächelte ihr zu. Nur ein freundliches Lächeln ohne Hintersinn, und doch verlieh diese kleine Geste der Zuneigung, so zurückhaltend sie auch sein mochte, der Weihnachtsmusik einen Hauch von Melancholie, als hätte jemand eine andere, traurigere Melodie angestimmt.
    Das Lied war zu Ende, und Beattie bat um Ruhe, damit sie einige Worte sprechen konnte. »Mikhail, als ich nichts hatte, warst du für mich da. Du hast mir in der schlimmsten Zeit meines Lebens zur Seite gestanden, und deswegen fühle ich mich auf immer in deiner Schuld.«
    Mikhail tat den Dank mit einer verlegenen Handbewegung ab. Catherine stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn auf die wettergegerbte Wange zu küssen. Alle applaudierten, jemand rief nach mehr Brandy, und Beattie wurde auf einmal klar, dass Lucy schon viel zu lange aufgeblieben war.
    »Gute Nacht, kleines rothaariges Mädchen«, sagte Charlie liebevoll, als sie sich von der Schwelle aus verabschiedete.
    Beattie brachte sie nach oben ins Bett. »Es ist fast elf«, sagte sie lachend. »Das darfst du nicht Molly erzählen.«
    »Mummy ist ungezogen«, kicherte Lucy.
    Beattie setzte sich aufs Bett und genoss die kühle Dunkelheit des Raums, eine wohltuende Abwechslung vom hell erleuchteten, überhitzten Wohnzimmer. »Vermisst du Molly?«
    Lucy nickte. »Am meisten vermisse ich Daddy. Aber wenn ich bei ihm bin, vermisse ich dich. Das ist nicht gerecht. Wo immer ich bin, vermisse ich jemanden.«
    Beattie strich ihr das rotgoldene Haar aus der Stirn. »Das tut mir leid, mein Schatz.«
    »Manchmal denke ich mir eine Geschichte aus. Und darin stirbt Molly, und du und Daddy merken, dass ihr euch noch immer liebhabt. Dann wären wir alle zusammen.«
    Beattie musste ein Lachen unterdrücken. »Du solltest dir nicht wünschen, dass Molly tot ist.«
    »Das wünsche ich mir auch nicht, gar nicht!«, rief Lucy. »Ich denke es mir nur manchmal so. Und ich weiß, es wäre traurig und ich würde Molly vermissen, aber wenn du und Daddy und ich zusammen sein könnten, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm.«
    Beattie lächelte in der Dunkelheit. »Es tut mir leid, Lucy, aber das ist nur eine Geschichte. Daddy und ich werden nie wieder so zusammenleben.«
    Lucy nickte traurig. »Ich weiß.« Dann überlegte sie

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