Der Wind der Erinnerung
kurz. »Aber du hast ihn mal geliebt, oder?«
»Ja, natürlich.« Sie versuchte, sich zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte.
»Ich habe ihn nämlich das Gleiche gefragt, und er hat gesagt, er hätte dich auch sehr geliebt. Früher. Und dass mein Lächeln genauso aussieht wie deines.«
Aus irgendeinem Grund machte sie das sehr traurig. Ja, sie hatten einander geliebt. Eine törichte Liebe. Und sie hatten dieses wunderbare Kind gezeugt und immer nur darum gekämpft.
»Aber Molly hat es gehört«, fuhr Lucy fort. »Und dann ist sie sehr wütend geworden. So wütend habe ich sie noch nie gesehen.«
Beattie war sich nicht sicher, wie sie ihrer Tochter die Situation erklären sollte, also sagte sie lieber nichts. Das Mädchen war erst neun. Wenn sie zwölf war, würde sie ihr vielleicht die ganze Geschichte erzählen. Und hoffen, dass Lucy nicht zu hart über sie urteilte.
»Zeit zum Schlafen.«
»Eine Sache noch, Mummy. Daddy hat jetzt Molly, aber du hast keinen.«
»Ich brauche niemanden. Ich komme allein zurecht.«
»Das ist gut.« Lucy drehte sich auf die Seite. »Ich will nämlich keinen anderen Daddy.«
Beattie tätschelte ihre Schulter und stand auf. Sie schloss die Vorhänge, damit die Sterne nicht zu hell hereinschienen, und ging wieder nach unten.
Matt, Pete und Charlie waren ins Schererhäuschen zurückgekehrt, Rosella und ihre Familie waren ebenfalls im Aufbruch begriffen. Mikhail und Catherine würden bei ihnen übernachten, da der Bus nach Launceston hinter ihrem Gartenzaun abfuhr. Als sie Mikhails Taschen neben der Tür stehen sah, kamen Beattie die Tränen. Sie drängte sie zurück. Sie fand ihn inmitten des Durcheinanders.
»Leb wohl, alter Freund.« Sie drückte seine Hand. »Du wirst mir fehlen.«
»Ach, wirst mich ganz schnell vergessen.«
»Niemals. Niemals.« Sie drückte seine Hand noch fester.
Er beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Knöchel. »Du bist der beste Boss, den ich je hatte.«
»Komm schon, Mikhail«, rief Catherine. »Sie fahren jetzt.«
»Ich komme, ich komme«, knurrte er. Dann beugte er sich vor, damit niemand ihn hören konnte: »Verliebt sein ist größtes Glück.«
»Ich freue mich sehr für dich.«
»Ich wünsche dir auch solches Glück.«
Beattie lächelte unsicher. »Nun, ich …«
»Ich soll nicht sagen. Er sagt einmal zu mir, vielleicht zwei Jahre her, dass ich nicht erwähnen darf. Aber ich immer gehofft, dass du und Charlie verliebt.«
Beatties Gesicht wurde warm. »Charlie hat gesagt, du sollst es nicht erwähnen?«
Mikhail blickte ernst. »Charlie sehr besorgt um deinen Ruf.« Er lachte schnaubend. »Ich sage, Beattie schert sich nicht um Ruf. Brauchst du nicht. Hast Verstand und Geld. Und bist immer sehr schön.« Er trat zurück und lächelte zu Catherine hinüber. »Wenn auch nicht so schön wie meine künftige Frau.«
Catherine machte eine drängende Geste. Rosellas Tochter Lizzie quengelte vor Müdigkeit. »Zeit zu gehen, Zeit zu gehen.«
»Leb wohl«, sagte Mikhail.
»Nicht für immer«, sagte Beattie.
Der Lärm verklang, die Tür schloss sich.
Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, sammelte Gläser und Teller ein und wischte Zigarettenasche vom Tisch. Langsam und sorgfältig räumte sie das Zimmer auf und schüttelte die Kissen. Sie schaltete das Radio ein. Weihnachtslieder. Eine schöne Abwechslung vom ständigen Gerede über Hitler und Churchill.
Was hatte Charlie zu Mikhail gesagt? Empfand er doch etwas für sie und hatte seine Gefühle unterdrückt, um sie vor dem Klatsch zu schützen? Sie war verwirrt, hatte sich so lange eingeredet, dass ihre Gefühle nur die törichte Laune einer einsamen Frau seien. Was sollte sie jetzt machen?
Doch Charlie hatte sich ihr entfremdet. In jener Nacht, in der Mikhail so krank gewesen war, waren sie einander sehr nahe gewesen. Hatten Seite an Seite gesessen. Jene lange Nacht der Geschichten und Geheimnisse lag aber schon Jahre zurück. Seither hatten sich ihre Rollen auf der Farm verfestigt, sie hatten sich voneinander entfernt. Er wohnte mit den Jungs drüben im Schererhäuschen, sie blieb mit ihren Büchern und der Nähmaschine im Haus. Wie sollte man diese Kluft jetzt noch überbrücken? Sie verfluchte ihn, weil er sich von ihr entfernt hatte, weil er glaubte, dass die Klatschtanten in Lewinford mehr zählten als ihre Gefühle für ihn.
Nun war es zu spät.
Bevor er ging, hatte Mikhail Beattie beigebracht, den kleinen Lastwagen mit dem knatternden Motor und den breiten Reifen zu
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