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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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steuern. Daher konnte sie Lucy Mitte Januar selbst nach Hobart zurückbringen. Das Mädchen weinte, als sie ankamen, doch Beattie war sich nicht sicher, ob die Tränen dem Abschied von ihr galten oder dem Wiedersehen mit Henry. Henry drückte sie eng an sich. Kein Zweifel, er hing sehr an ihr.
    »Danke, dass du sie sicher zurückgebracht hast«, sagte Molly und berührte Lucy leicht an der Schulter. »Wir haben sie so vermisst.«
    »Und nun werde ich sie vermissen. Kommst du kurz mit?«
    Lucy und Henry gingen ins Haus, und Molly ging mit ihr zum Tor. Sie und Beattie schlenderten gemeinsam zum großen Eukalyptusbaum am Ende der Straße. Seit Tagen wehte ein heißer Wind aus Westen, der Beatties Haut trocken und rissig machte.
    »Ich möchte Lucy öfter bei mir haben. Ein halbes Jahr«, erklärte sie schlicht. »Mit der Gouvernante klappt es gut.«
    Molly schüttelte den Kopf. »Das ist eine zu große Umstellung für das Kind. Sie muss sich in der Schule eingewöhnen. Wenn sie bei dir ist, geht sie nicht in die Kirche. Sie lebt vollkommen ungeregelt.«
    »Das stimmt nicht.« Doch Lucy genoss zweifellos sehr viele Freiheiten auf Wildflower Hill. »Sie lernt etwas über die Arbeit auf der Farm. Sie kann sehr gut reiten und hilft mit den Hühnern und dem Garten.«
    »Das ist aber kein Leben für ein junges Mädchen. Sie braucht Grenzen. Sie muss Manieren lernen und sich anpassen können. Außerdem hat sie jede Menge Sommersprossen.« Molly blickte stirnrunzelnd zur Sonne empor, die an diesem Tag erbarmungslos herniederbrannte. »Henry will nichts davon hören, das kann ich dir gleich sagen. Während sie weg war, hatte er immer nur schlechte Laune. Er war unerträglich. Er liebt das Kind mehr, als du glaubst.«
    Beattie drängte nicht weiter. Der Abschied von Lucy war schlimm genug, ohne dass sie den alten Zwist wieder aufrührte.
     
    Beattie stattete zwei Modesalons einen Besuch ab, für die sie Kleider genäht hatte, um ihr Geld und neue Bestellungen abzuholen. Als ihr klarwurde, dass sie die Nachfrage nicht erfüllen konnte, hatte sie die Zusammenarbeit mit FitzGerald’s eingestellt. Sie war ja ein Eine-Frau-Unternehmen. Daher konzentrierte sie sich auf wenige Modelle in wenigen Größen, verlangte viermal so viel und nahm auch Sonderbestellungen entgegen. Sie stellte fest, dass Wolle sich am besten für praktische Kleidung eignete, nicht für die ausgefallenen Modelle, die sie als Teenager entworfen hatte. Allmählich lernte sie die Schönheit einfacher Linien zu schätzen. Sie hatte aber auch Dutzende anderer Entwürfe im Kopf und zeichnete sie manchmal aus Spaß. Ohne ein Team von Näherinnen konnte sie diese jedoch nicht verwirklichen und konzentrierte sich ganz darauf, das Geschäft am Laufen zu halten.
    Die Straße flimmerte in der Hitze, als sie mit offenem Fenster nach Hause fuhr. Der Wagen wirkte furchtbar leer ohne Lucys Geplapper. Sie empfand die Abwesenheit des Mädchens immer wie einen tiefen Schmerz, der nicht verschwinden wollte. Es war beinahe zehn Jahre her, dass sie ihre Schwangerschaft bemerkt hatte. Zehn Jahre, die wie im Flug vergangen waren. Warum wartete sie ab, warum hoffte sie auf das Entgegenkommen von Henry und Molly? Inzwischen war sie doch reich und mächtig genug, um sich gegen jeden Vorwurf zu verteidigen.
    Sie fuhr über Hügel und durch Täler, die gelb und ausgedörrt in der Sonne lagen. Der Asphalt ging in eine ungepflasterte Straße über. Sie fuhr langsamer. Gleich käme sie nach Lewinford. Sie beschloss, dort anzuhalten. Diesmal würde sie es sich von Leo nicht ausreden lassen. Wenn sie Lucy nicht mit ihr teilen wollten, würde sie das Mädchen eben für immer zu sich holen.
     
    Inzwischen galt Beattie in Lewinford geradezu als Kuriosität. Normalerweise fuhr sie zum Einkaufen eine Stunde weit in eine Stadt im Norden, in der sich niemand dafür interessierte, wem Wildflower Hill gehörte und wieso. Als sie ihren staubbedeckten Lastwagen vor dem Postamt abstellte, gegenüber von Leos kleinem Steinhäuschen, blieben ein oder zwei neugierige Bewohner stehen, um zu sehen, wem er gehörte. Sie stieg stolz aus, streifte die Handschuhe ab und steckte sie in die Handtasche. Tilly Harrows Ehemann Frank fegte gerade den Weg vor dem Laden und starrte sie böse an. Sie tat es mit einem Achselzucken ab. Beattie war gut gekleidet, lauter eigene Entwürfe, und trug das dunkle Haar perfekt nach hinten frisiert. Sie wusste, dass sie gut aussah: durchtrainiert und gesund von harter Arbeit und

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