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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Anwalt von Henry und Molly geschickt. Irgendwann in dieser Woche würden sie erfahren, dass Beattie den Kampf um das Sorgerecht aufnehmen wollte. Dass Beattie ihre Fehler als Eltern schwarz auf weiß niedergeschrieben hatte.
    Heute jedoch wussten sie es noch nicht. Heute kam Molly winkend ans Tor, als sie das Auto hörte. Heute würden sie einander das letzte Mal höflich begegnen.
    »Mein liebes Mädchen«, seufzte Molly und schloss Lucy in die Arme.
    »Hallo, Mama. Ich habe einen Schnabeligel gestreichelt!«
    Molly blickte Beattie über ihren Kopf hinweg an. »Henry musste zur Arbeit.«
    »Bestell ihm Grüße von mir.«
    Molly lächelte angespannt, und Beattie fürchtete schon, die andere Frau könne ihre Gedanken lesen. »Wie geht es dir?«
    »Gut. Wir rechnen mit einem anständigen Ertrag, und der Modesalon verkauft meine Modelle schneller, als ich sie liefern kann.« Sie zwang sich, ruhiger zu sprechen.
    »Und wie geht es Charlie?«
    Sie brachte kein Wort über die Lippen.
    Dann warf Lucy ein: »Charlie hat mir fünf verschiedene Knoten gezeigt!«
    »Wie nett«, sagte Molly, »aber du solltest einem schwarzen Mann nicht zu nahe kommen. Sie sind nicht so wie wir.«
    Beattie spürte heißen Zorn in sich aufsteigen, verzichtete aber auf eine übereilte Reaktion. »Lucy beurteilt Menschen nach ihrem Wesen, nicht nach ihrem Aussehen.«
    »Weil sie ein Kind ist«, erwiderte Molly glatt. »Sie wird es schon noch lernen.«
    Beattie kniete sich hin, um ihre Tochter zu umarmen. Sie sah verwirrt und gekränkt aus.
    »Charlie ist doch kein böser Mann, oder?«
    »Charlie ist ein sehr guter Mann, und du bist ein gutes Mädchen«, erwiderte Beattie leise. »Wir sehen uns in drei Monaten.«
    »Dreizehn Wochen.«
    »Genau.« Beattie verdrängte die ungeheure Traurigkeit, die sie beim Abschied immer empfand. Ab Juli würde Lucy vielleicht für immer bei ihr bleiben. »Leb wohl, mein Liebling.«
    »Leb wohl, Mummy«, sagte Lucy und wartete mit Molly am Tor, bis sie ins Auto gestiegen und weggefahren war.
     
    Peter und Matt kamen im April, als das erste Grün auf dem verbrannten Hügel erschien und die Hinterteile der Schafe wieder geschoren werden mussten. Charlie gefiel es gar nicht, andere Leute auf der Farm zu haben.
    »Keine Sorge«, beruhigte ihn Beattie, als er sie eines Abends in der Küche sanft von sich schob, »sie sind drüben im Häuschen. Sie essen nicht mal bei uns im Haus. Sie werden es nie erfahren.«
    »Als sie das letzte Mal hier waren, habe ich im Häuschen geschlafen. Sie werden merken, dass ich nicht mehr dort bin.«
    »Und sich nichts dabei denken. Mikhail hat jahrelang im Haus gewohnt, und niemand hat je ein Wort darüber verloren.«
    Er ergriff ihre Hände und führte sie an die Lippen. »Ich mache mir nur Sorgen um dich. Darüber, was die Leute denken.«
    »Mir ist egal, was die Leute denken.«
    Er suchte nach Worten. »Das kannst du nur sagen, weil du nie wirklichen Hass gespürt hast.«
    »Doch, das habe ich. Die meisten Leute in Lewinford halten mich für ein liederliches Frauenzimmer.«
    »Ja, aber du bist wenigstens nicht schwarz.«
    Beattie schwieg. Charlie ließ ihre Hände los. »Lass uns aufpassen. Bis es dunkel wird.«
    »Und dann können wir uns nahe sein?«
    Er lächelte. »So nah, wie du möchtest.«
    Der Winter kam, und sie waren wieder allein. Lange Nächte am Kamin, in denen sie sich in den Armen des anderen verloren.
    Er sagte ihr wieder und wieder, dass er sie liebte, sagte es zu ihrer Haut und ihren Haaren. Ihr Herz war so eng mit seinem verflochten, dass es sie erschreckte, sie eine namenlose Angst bekam: die Angst eines jeden Menschen, der zu sehr liebt. Sie konnte sie nur vertreiben, indem sie sich ganz auf Charlie konzentrierte und den Rest der Welt vergaß.
    Henry meldete sich an dem Tag, an dem er den Brief von seinem Anwalt erhielt, und spuckte Gift und Galle. Es war ihr egal. Leo Sampson erklärte, die Anhörung wegen des Sorgerechts werde erst im August stattfinden. Es war ihr egal. Die neue Posthalterin in Lewinford weigerte sich, sie zu bedienen, als sie ein Paket mit Kleidern an den Modesalon in Hobart schicken wollte. Auch das war ihr egal. Dann fuhr sie eben in die nächste Stadt. Sie war verliebt, wahnsinnig verliebt, blind vor Liebe. Sie sah es nicht kommen.
    Es traf sie völlig unvorbereitet.
     
    Als Lucy aus der Kirche kam, zog sie in ihrem Zimmer die Schuhe aus und stellte sie in den Kleiderschrank. Sie ließ sich aufs Bett fallen, wo Häschen und Pferd schon

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