Der Wind der Erinnerung
ganzer Körper spannte sich an.
»Ich weiß, einige dieser farbigen Kerle sind ganz in Ordnung«, gab sie zu. »Aber ich habe sie lieber nicht in der Nähe eines Menschen, der mir so viel bedeutet.« Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern, fast hätte er sie wegen des Motorgeräuschs nicht verstanden. »Es heißt, er sei ein Dieb.«
»Sei still«, befahl Henry, der selbst nicht verstand, wieso Angst und Zorn in ihm tobten. »Ich wünschte, du hättest es nie erwähnt.«
Den Rest der Fahrt saß Molly schweigend da.
Charlie war schließlich ins Haus gezogen, bestand aber auf einem separaten Zimmer. Lucys Zimmer lag zwischen Beatties und Charlies. Wenn ihre Tochter zu Besuch war, würden sie eben getrennt schlafen.
Und genau das erwies sich als unmöglich.
Sie hatte sich daran gewöhnt, die Nähe seiner warmen Haut zu spüren, die leidenschaftliche Berührung seiner Finger. Spätnachts, wenn sie sicher war, dass das Mädchen schlief, schlich Beattie durch den Flur und klopfte leise an seine Tür.
Er öffnete misstrauisch, die Augen schwarz im Dämmerlicht. »Willst du das wirklich, Beattie?«
Er trat zurück, um sie hereinzulassen, und schloss die Tür hinter ihnen. Sie fiel in seine Arme, gab sich seinen Lippen und seiner Zunge hin. Das schmale Bett wartete auf sie. Durchs Fenster leuchteten sanft die ewigen Sterne. Charlie hatte rasch gelernt, wie er ihre Bedürfnisse am besten befriedigte. Henry war im Vergleich dazu sehr unbeholfen gewesen. Wenn sie mit Charlie zusammen war, fühlte sie sich danach angenehm erschöpft, ihre Ohren rauschten, und er zog sie fest an seine harte Brust und murmelte ihr Koseworte ins Ohr.
Doch es war mehr als nur körperliche Anziehungskraft. Manchmal war es, als würden ihre Seelen magnetisch voneinander angezogen. Sie waren aus demselben Holz geschnitzt. Er war der sichere Hafen, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte.
»Wir sollten heiraten«, sagte Beattie kurz vor Mitternacht.
»Ich weiß nicht. Das würde den Leuten in der Stadt nicht gefallen.«
»Aber so können wir auch nicht weitermachen«, seufzte sie. »Als wäre es ein Geheimnis. Als hätten wir Angst vor ihrer Meinung.«
»Wenn es nach deinem Anwalt geht, sollten wir auch Angst vor ihnen haben.«
»Na gut, aber sobald ich das Sorgerecht für Lucy habe, werden wir es nicht länger geheim halten.« Sie hatte mehrere Wochen an dem Brief für Leo Sampson geschrieben und ihn so präzise wie möglich formuliert. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, als sie Henrys diverse Fehler aufzählte, mahnte sich aber, dass nichts davon ausgedacht war: er war
tatsächlich
seiner Frau davongelaufen, er hatte
tatsächlich
getrunken und gespielt und ihre Sicherheit riskiert, er hatte
tatsächlich
Molly zurückgenommen, nachdem sie Geld geerbt hatte. In Wirklichkeit hielt sie ihn gar nicht für einen schlechten Vater, niemand konnte Lucy mehr lieben als er. Doch sie musste das alles sagen, um dem Gericht zu beweisen, dass Lucy bei ihrer Mutter besser aufgehoben wäre. Bei ihrer
wirklichen
Mutter und nicht bei Henrys verdrießlicher, kinderloser Ehefrau. Inzwischen lag Leo der Brief vor, alle Papiere waren unterzeichnet und konnten eingereicht werden, sobald Lucy wieder in der Schule war. Leo hatte gesagt, es würde Monate dauern, bis das Gericht etwas entschied.
»Stell dir vor, Charlie«, sagte Beattie, »wir beide könnten heiraten, und Lucy würde bei uns leben. Wildflower Hill würde uns allen gehören.«
Charlie lachte. »Du weißt, dass mir an Besitz nichts liegt.«
»Das sollte es aber. Denk nur, ich könnte morgen sterben, und dann würde jemand anders die Farm übernehmen. Du hast so viel dafür getan und bekommst immer nur einen geringen Lohn.«
»Ich bin glücklich mit dem, was ich habe. Große Träume zahlen sich nicht aus. Vor allem nicht für einen Schwarzen.«
Beattie setzte sich auf und sah auf ihn hinunter. Seine dunklen Haare waren auf dem Kissen ausgebreitet, seine starken Schultern entblößt. »Mit mir kannst du große Träume träumen, Charlie.«
»Ich möchte trotzdem lieber vorsichtig sein, wenn es dir nichts ausmacht.«
Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Der Duft seiner Haut stieg ihr in die Nase. »Alles wird gut. Du wirst schon sehen.«
Beattie brauchte lange, um das Gefühl zu erkennen, das auf der Fahrt nach Hobart an ihr nagte. Es war ein schlechtes Gewissen.
Sie brachte Lucy nach Hause, doch diesmal war alles anders. Gestern hatte Leo Sampson die Papiere an den
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