Der Wind der Erinnerung
richtig. Molly war wütend und benahm sich komisch, aber Daddy würde dafür sorgen, dass ihr nichts passierte.
Er lächelte sie ein bisschen schief an. »Wie wäre es mit einer Reise, mein Mädchen?«
* * *
Am Tag, an dem sie Lucy in Hobart abholen sollte, zog sich Beattie ein Fieber zu. Sie wollte Lucy anrufen und ihr sagen, dass sie sich verspäten würde. Hoffentlich ging nicht Henry oder Molly ans Telefon. Doch es meldete sich niemand. Sie konnte kaum stehen, geschweige denn Auto fahren, und legte sich ins Bett. Vielleicht ginge es ihr morgen besser.
Am nächsten Morgen konnte sie noch immer niemanden erreichen. Vielleicht funktionierte das Telefon nicht. Lucy würde denken, sie hätte sie vergessen.
Als sie den Mantel anzog und zum Lastwagen ging, verlor sie das Gleichgewicht und taumelte gegen die Wand. Charlie eilte herbei, um sie zu stützen.
»Du bist immer noch krank.«
»Mein Ohr tut so weh. Ich kann das Gleichgewicht nicht halten.«
»Du kannst nicht fahren. Du bist nicht nur krank, es ist auch noch neblig.«
»Ich kann nicht hierbleiben. Lucy rechnet schon seit gestern mit mir.«
»Sie wird warten.«
»Das verstehst du nicht. Sie wird glauben, ich hätte sie vergessen oder würde sie nicht mehr lieben. Das darf sie nicht denken, nicht mal eine Stunde lang. Schon gar nicht einen ganzen Tag.«
Charlie hielt ihren Arm fest umklammert.
»Du könntest mich fahren.«
Er lächelte bitter. »Beattie, ich habe gesehen, wie Molly mich anschaut.«
»Molly ist mir egal.«
»Das könntest du noch bereuen.«
»Du bist mein Angestellter. Es ist doch nicht ungewöhnlich, wenn du mich irgendwohin fährst.« Sie berührte sanft seine Hand. »Bitte. Mein kleines Mädchen wartet auf mich.«
»Kannst du sie nicht anrufen?«
»Mit dem Telefon stimmt etwas nicht.«
Seufzend griff er nach seinem Hut. »Na schön, aber ich warte im Auto.«
Es war das erste Mal, dass sie gemeinsam irgendwohin fuhren. Jenseits der Farm hob sich der Nebel und enthüllte das Gras, das von silbrigem Eis überzogen war. Selbst Beatties pochendes Ohr und der ständige Schwindel hinderten sie nicht daran, die Fahrt zu genießen, vorbei an kahlen Winterbäumen und brachliegenden Feldern, zusammen mit dem Mann, den sie liebte. Es war ungerecht. Andere Frauen konnten diese einfachen Freuden immer genießen. Molly konnte mit Henry im Auto fahren, Tilly Harrow mit ihrem Frank … dabei war ihre eigene Liebe viel ehrlicher und stärker als die der anderen. Wenn die Sache mit dem Sorgerecht endlich geregelt war, würde sie Charlie heiraten und den Leuten ins missbilligende Gesicht lachen.
Um kurz vor elf erreichten sie Henrys Haus. Beattie stieg aus und wartete, bis sich der Schwindel gelegt hatte. Dann ging sie den Weg entlang zur Tür. Die Luft vibrierte vor Kälte. Sie klopfte.
Keine Antwort.
Plötzlich überkam sie eine furchtbare Angst. Niemand am Telefon, niemand an der Tür. Sie klopfte lauter. Ging ums Haus herum. Die Autotür schlug zu, Charlie folgte ihr. Sie bemerkte es kaum. Ihr verschwamm alles vor den Augen. Etwas stimmte nicht, das spürte sie wie einen scharfen Stich.
Sie klopfte an die Hintertür, auch nichts. Neben der Tür stand Mollys Putzeimer. Beattie drehte ihn um und stellte ihn unter das Fenster von Lucys Zimmer. Charlie kam gerade rechtzeitig, um sie zu stützen. Die Scheibe beschlug unter ihrem Atem.
»Kannst du was sehen?«
Der Vorhang war nur einen Spalt geöffnet, aber es reichte aus. Sie blickte in ein leeres Zimmer.
Kein Bett. Kein Spielzeug. Kein Kleiderschrank. Alles verschwunden.
Ihr Herz blieb stehen. Und dann fiel sie, fiel in Charlies Arme.
»Es ist leer!«, schrie sie.
»Sch, alles wird gut.«
Er half ihr, um das Haus herumzugehen. Nebenan hängte die Nachbarin Wäsche auf.
»Können Sie uns helfen?«, rief Charlie.
Die Frau blickte auf und runzelte die Stirn, als sie sah, dass er Beatties Taille umfasst hielt. »Was ist los?«
»Haben Sie gesehen, wie sie weggefahren sind?«, fragte Beattie verzweifelt. »Der Mann und das kleine rothaarige Mädchen?«
»Das war vor etwa drei Wochen«, knurrte sie. »Wieso?«
Vor drei Wochen? Wieso hatte sie das nicht erfahren? »Ich bin die Mutter des Mädchens.« Das Blut rauschte in ihren Ohren. »Ich muss wissen, wohin sie gefahren sind.«
»Er sagte, er wolle nach Norden. Das ist alles.« Sie hob den Wäschekorb auf und kehrte ihnen den Rücken.
»Bitte!«
»Mehr weiß ich nicht.« Mit diesen Worten schloss sie die Tür hinter sich.
Beattie
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