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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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war klein und dunkel, weshalb ich die ersten beiden Kartons in den Flur zog, mich mit ausgestrecktem Bein hinsetzte, einen Deckel abhob und loslegte.
    Die Stunden vergingen, und ich fragte mich, ob Grandma vorgehabt hatte, das alles irgendwann selbst durchzusehen. Es gab kein irgendwie geartetes System. Der erste Karton war mit alten Schallplatten, Kochbüchern und Geburtstagskarten gefüllt. Im zweiten fand ich ein halbes Dutzend Taschenbücher, Geschäftsbriefe aus den Fünfzigerjahren und zahllose Umschläge mit Fotos, die nicht gut genug für ein Album gewesen waren. Meine Mum als Teenager, ganz verschwommen, Onkel Mike, der aber nur halb zu sehen war und einen mageren Arm nach dem Basketballkorb ausstreckte. Dass Onkel Mike einmal mager gewesen sein sollte, verblüffte mich, und ich betrachtete das Foto lange. Dann die anderen, die meine Mutter und meinen Onkel als Jugendliche zeigten. Die Zeit verging. Ich dachte daran, wie ich als Teenager gewesen war, es schien gar nicht so lange her zu sein. Mit siebzehn hatte meine Karriere begonnen, mit zweiunddreißig war sie zu Ende gegangen, und die Jahre waren nur so dahingeflogen.
    Was nun, Emma, was nun?
    Diese verdammte Monica. Warum musste sie ausgerechnet heute krank werden? Allein brachte ich nichts zustande, verlor mich immer wieder in Gedanken. Ich hätte gern ein Radio gehabt, wünschte, ich hätte meinen iPod mitgebracht. Etwas, womit ich mich ablenken konnte. Doch ich hatte ihn mit Absicht zurückgelassen. Drei Wochen. Ich war ja nur für drei Wochen hier.
    Ich warf einen Blick in das Zimmer hinter mir. Selbst wenn ich nur für kurze Zeit hier war, konnte ich es mir bequem machen. Ein Radio kaufen, ein schnurloses Telefon, einen anständigen Staubsauger statt des primitiven Dings, das Monica so tapfer benutzte.
    Oder ging das schon zu weit? Ich saß in der Falle. Dies war nicht London. Dies war nicht mein Leben.
    Als ich mir die Tränen abwischte, wurde mir bewusst, dass ich schon lange nicht mehr geweint hatte. Fügte ich mich allmählich in meine Situation? Den Gedanken konnte ich nicht ertragen.
    Dennoch, ein paar Annehmlichkeiten wären schon ganz praktisch. Ich rappelte mich auf und beschloss, in die Stadt zu gehen und das Nötigste zu kaufen. Das wäre ein gutes Training für mein Knie.
    Der Tag war sonniger als erwartet, und mein Schatten eilte mir die ganze Zeit voraus. Mein Knie schmerzte zwar, aber ich ging weiter und konzentrierte mich auf die Muskeln, die das Gelenk umgaben.
    Auf dem Weg vom Flughafen nach Wildflower Hill waren wir durch Lewinford gefahren, doch seither war ich nicht mehr in dem Ort gewesen. Die Hauptstraße wurde von altmodischen Geschäften gesäumt, doch um die Ecke befanden sich ein Supermarkt mit Parkplatz und ein Einkaufszentrum. Einige Ladenlokale standen leer, eins hatte der örtliche Parlamentsabgeordnete angemietet, dann gab es noch ein Bastelgeschäft, einen Blumenladen, ein Elektronikgeschäft, einen Tierarzt, ein Café, einen Zeitungsladen und eine Apotheke.
    Im Elektronikgeschäft kaufte ich einen winzigen Staubsauger, einen CD -Spieler und ein schnurloses Telefon, das einzige, staubbedeckte Exemplar, das es im Laden gab. Ich bat darum, mir die Sachen nach Hause zu liefern, und ging nach nebenan in den Blumenladen. Ich liebte frische Blumen, und die, die Monica mitgebracht hatte, waren mittlerweile verwelkt.
    Die Floristin war eine alte Frau mit knotigen Händen. Ich nahm zwei Sträuße: einen aus weißen Lilien, weil ich den Geruch liebte, und einen bunten für die Küche. Ich versuchte, Spaß am Nestbau zu finden, auch wenn es nur im kleinen Rahmen geschah.
    »Sonst noch etwas, meine Liebe?«, fragte die alte Dame.
    Ich schüttelte den Kopf und gab ihr meine Kreditkarte. Dann kam mir der Gedanke, dass sie womöglich ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht hatte; vielleicht hatte sie Grandma gekannt. Und vielleicht konnte sie mir etwas über das Foto erzählen.
    »Doch, da wäre noch eine Sache. Meine Großmutter hat in den Dreißigerjahren oben auf Wildflower Hill gewohnt. Sie haben sie wohl nicht zufällig gekannt?«
    »Beattie Blaxland? Sind Sie etwa ihre Enkelin?« Sie sah vorsichtshalber noch einmal auf meine Kreditkarte und strahlte übers ganze Gesicht. »Das freut mich sehr. Sind Sie die Ballerina?«
    »Ja, die bin ich.« Ich spürte einen Stich in der Brust. »Allerdings habe ich mich verletzt. Ich kann nicht mehr tanzen.«
    Sie schnalzte mit der Zunge. »Das ist aber schade. Lewinford ist stolz auf Sie,

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