Der Wind der Erinnerung
passt.«
»Das alte Schererhäuschen. Ich sehe mal nach. Und ich richte Ihnen Schlafzimmer und Bad her. Dann sind die Räume, die Sie am häufigsten benutzen, wenigstens sauber.«
Ich überließ sie ihrer Arbeit und ging ins Wohnzimmer, um mich den Kartons zu widmen.
Mir wurde klar, dass Grandma nichts weggeworfen hatte, und auch mir fiel es schwer. Sie hatte jeden Brief und jede Karte, die sie jemals erhalten hatte, aufgehoben. Manche waren säuberlich in Ordnern abgeheftet, darunter alte Stromrechnungen, die gar nicht an diese Adresse gerichtet waren. Die konnte ich ohne weiteres entsorgen. Aber den Briefwechsel zwischen ihr und meinem Großvater konnte ich nur mit Mühe auf den Stapel für den Abfall legen. Ich ließ mich ständig ablenken, las ein paar Zeilen und ermahnte mich dann, dass ich dafür keine Zeit hatte. Auf dem Klavier stapelten sich allmählich die Sachen, die ich vielleicht behalten wollte.
Keiner der Schlüssel am Bund passte zum Häuschen. Ich schaute durch die schmutzigen Fenster, doch die Sicht wurde durch alte Baumwollvorhänge verdeckt. Ich rief Mr. Hibberd an, aber er konnte mir auch nicht helfen. »Ich habe Ihnen alle Schlüssel gegeben, die ich hatte. Rufen Sie doch einen Schlosser.«
Die Mühe machte ich mir nicht. Vermutlich war es sowieso leer.
Am Ende der Woche hatten wir zwölf Kartons mit Abfall, der zur Mülldeponie gebracht werden musste, neben der Tür aufgestapelt. Für Samstag hatte Monica ihren Bruder bestellt, und es wunderte mich daher nicht, als ich am Morgen unter dem kranken Baum einen Mann stehen sah, der zu meinem Fenster heraufblickte. Da er mich nicht bemerkte, ging ich hinunter.
»Hallo, Sie müssen Patrick sein.«
Er wandte sich zu mir um. »Das stimmt, hallo. Ich habe mir gerade Ihren Baum angesehen.«
Ich wusste nicht, wie ich mir Monicas Bruder vorgestellt hatte, vielleicht als stämmigen Bauernburschen in blauer Weste, sonnengebräunt wie ein Arbeiter. Patrick aber war ein großgewachsener Mann mit glattem blondem Haar, das ihm fast bis zum Kragen reichte, blasser Haut und grauen Augen mit schweren Lidern. Auch war er älter, als ich erwartet hatte. Ich wusste, dass Monica erst einundzwanzig war, schätzte Patrick aber auf über dreißig. Sein Gesicht war eher interessant als hübsch. Auf den ersten Blick hatte er etwas Osteuropäisches an sich, wie einer der großen Komponisten. Gefühlsstark, ein bisschen nachlässig gekleidet. Ich verglich ihn unwillkürlich mit Josh, der so gepflegt und adrett wirkte.
»Ach so, der Baum. Vermutlich Opossums, wie man mir sagte. Ich weiß nicht einmal, was für ein Baum das ist.« Warum nur waren alle so wild auf diesen Baum? Im Wald gab es doch Tausende davon.
»Das ist ein Eucalyptus amplifolia. Wenn er Äste abwirft, sollten Sie nicht darunter hindurchgehen.«
»Wo ist Monica?«
»Sie macht mir gerade einen Kaffee. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Natürlich. Und Sie helfen uns, den Müll wegzubringen?«
»Ja, ein Freund hat mir seinen Wagen geliehen.« Er deutete auf einen Kleinlaster, der in der Einfahrt stand. Dann sah ich wieder zu ihm, worauf er den Blick abwandte.
»Nun, Zeit für den Kaffee«, sagte ich.
Ich ging mit ihm in die Küche. Als Monica drauflos plapperte, schien er sich zu entspannen und lächelte sogar. Auf einmal sah er gar nicht mehr so ernst aus, und die Ähnlichkeit mit seiner Schwester wurde sichtbar. Ich ließ die beiden allein und ging ins Wohnzimmer, wo ich mich erbarmungslos meinem »Vielleicht behalten«-Stapel widmen wollte. Ich setzte mich auf den Klavierhocker und griff nach den Briefen.
Der Morgen verging still, während ich die Briefe noch einmal las, wohl wissend, dass drei Wochen nur dann ausreichen würden, wenn ich mich gnadenlos von Dingen trennte. Ich versuchte mir einzureden, dass die Sachen jahrelang hier gelegen hatten, ohne dass sich jemand darum kümmerte. Warum also sollte es mich stören, wenn ich sie jetzt wegwarf?
Andererseits war es die wunderbare Geschichte meiner Großeltern. Die Briefe waren nicht geordnet, also tauchte ich an den unterschiedlichsten Stellen in ihr Leben ein. Grandpa war Parlamentsabgeordneter gewesen und zwischen Canberra und Sydney gependelt, wo Grandma mit den Kindern wohnte und ihre Firma leitete. Damals gab es noch keine E-Mails oder günstige Ferngespräche, so dass sie einander Briefe geschrieben hatten. Schöne altmodische Briefe, gefühlvoll und detailliert.
Ich hörte, wie Monica und Patrick zurückkamen, und sah auf die
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