Der Wind der Erinnerung
und wir waren auch stolz auf Ihre Grandma. Allerdings habe ich sie nie gesehen. Ich glaube, sie ist in den letzten sechzig Jahren nur ein- oder zweimal hergekommen.«
»Sie haben sie also nicht gekannt?«
»Nein, meine Liebe. Ich bin oben im Norden aufgewachsen und erst nach meiner Hochzeit hergezogen.«
»Hat Ihr Mann sie vielleicht gekannt?«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Er ist schon lange tot. Ich habe ihn nie danach gefragt.«
»Gibt es sonst noch jemanden, der sie gekannt haben könnte?«
»Den einen oder anderen schon. Sie sollten mal Penelope Sykes fragen, die den Heimatverein leitet. Sie hat viele alte Geschichten aufgezeichnet und schreibt sie nacheinander ab. Ich gebe Ihnen mal ihre Nummer.«
Ich blieb vor dem Café stehen, in der einen Hand die Telefonnummer von Penelope Sykes, in der anderen zwei Blumensträuße. Der Kaffee roch gut, aber selbst schlechter Kaffee tut das. Ich war verwöhnt von den Cafés in London und Sydney.
Während ich noch unschlüssig dastand, rief jemand meinen Namen. Ich drehte mich um und sah Patrick vom Parkplatz herübergehen.
»Ach, hallo«, sagte ich lächelnd.
»Wie sind Sie denn in die Stadt gekommen?«, wollte er wissen. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt. Vermutlich kam er gerade von der Arbeit. Ich hatte auf der Highschool keine Lehrer gehabt, die sich so lässig kleideten, aber meine Mutter hatte mich auch auf teure Privatschulen geschickt.
»Ich bin gelaufen. Ich musste ein paar Sachen besorgen.«
Er deutete auf die offene Tür des Cafés. »Möchten Sie einen Kaffee?«
»Ich … kann mich nicht entscheiden.« Ich lächelte schwach. »Bin ein bisschen durcheinander.«
»Die machen tollen Kaffee. Ich komme jeden Nachmittag her.«
Ich wusste nicht, ob ich ihm vertrauen sollte, und das merkte er wohl. Es schien ihm allerdings nichts auszumachen.
»Na los, ich gebe einen aus. Danach kann ich Sie nach Hause bringen, wenn Sie möchten.«
»Ehrlich? Das wäre nett. Das mit dem Fahren, meine ich. Und mit dem Kaffee auch. Beides wäre nett.« Mir wurde bewusst, dass ich Unsinn redete. Also folgte ich ihm einfach ins Café.
Er kaufte zwei Caffè Latte zum Mitnehmen und hatte verdammt recht. Der Kaffee war exzellent. Er öffnete die Tür seines kleinen Mazda und sagte, ich solle warten, während er die elektrischen Geräte holte und die Lieferung stornierte.
Ich setzte mich dankbar ins Auto und streckte das Bein aus der offenen Tür. Auf dem Boden lag ein Stapel schwarzweißer Flyer, der von einem Gummi zusammengehalten wurde. Mir fiel das Wort »Tanz« ins Auge, und ich nahm mir einen.
Ich erkannte sofort, dass es sich um die Tanzgruppe handelte, für die Patrick Klavier spielte. Sie nannte sich »The Hollyhocks«, und beim Blick auf das Foto bemerkte ich, dass er mir nicht alles über die »ganz besonderen« Kinder gesagt hatte. Die meisten von ihnen hatten das Down-Syndrom. Ich kam mir sehr schäbig vor und hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Und wurde wütend, weil er mich in diese Lage gebracht hatte.
Da kam Patrick zurück und lud meine Sachen in den Kofferraum. Ich zog das Bein herein und machte es mir bequem. Er setzte sich ans Steuer und fuhr vom Parkplatz.
»Hatte ich recht mit dem Kaffee?«
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass die Kinder behindert sind?«
Er schaute zu mir und wieder auf die Straße. »Sie sind wütend.«
»Ich komme mir wie ein Idiot vor.«
»Hören Sie, Emma, ich weiß, dass Sie verletzt sind. Ich wollte Ihnen nicht weh tun. Ich habe gedacht, wenn ich Ihnen alles über die Hollyhocks erzähle, fühlen Sie sich verpflichtet zu kommen. Es ist eine lange Fahrt bis nach Hobart, vor allem für jemanden mit einem verletzten Knie, der diese Entfernungen nicht gewohnt ist.« Er lächelte mir zu. »Es muss Ihnen nicht leidtun, dass Sie nein gesagt haben.«
Es tat mir aber leid. Ich kam mir vor wie eine egoistische Diva. Es kostete mich nur ein paar Schmerzen im Knie, wenn ich nach Hobart fuhr, mich mit den Kindern traf und ihnen etwas über das Tanzen erzählte. »Ich werde kommen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht. Sie haben gesagt, Sie könnten nicht lange fahren.«
»Wenn wir unterwegs ein paarmal anhalten, geht es.«
»Ich will nichts davon hören, Emma. Ich käme mir aufdringlich vor. Sie sind nur kurze Zeit hier, und Monica kann die nächsten Tage nicht helfen. Dabei gibt es so viel zu tun.«
»Trotzdem, ich komme. Wann ist die nächste Probe?«
Er kämpfte mit sich und sagte dann:
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