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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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bedrückt.
    Dann ging mir auf, dass die Augen unter dem grünen Schopf zwar noch funkelten wie ehedem, aber nicht mehr vor Hass sprühten. Ich hatte keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob er aufgehört hatte, mich persönlich zu hassen, oder ob er mit der Menschheit im Allgemeinen Frieden geschlossen hatte, denn er zog den Rucksack auf und holte eine Fünfliterdose Farbe heraus.
    »Ich weiß nicht, ob das irgendwas mit Vaters Tod zu tun hat, aber …« Er zögerte einen Moment, dann hielt er mir die Dose hin. Sie hatte Rostflecken und ähnelte den litauischen Farbdosen, die ich in der Garage der Merivaaras gesehen hatte, nur war der Aufdruck diesmal russisch. Ich konnte ihn nicht lesen, doch der rot umrandete Totenschädel sagte mir genug. Ich nahm die Dose vorsichtig entgegen, als könnte sie explodieren.
    »Was ist da drin? Wo hast du sie gefunden?«
    »Auf Rödskär, vorletzten Herbst. Es muss Anfang September gewesen sein, Harri war auf der Insel, um den Abflug der Zugvögel zu beobachten.«
    Da Harri wegen einer Mittelohrentzündung zum Arzt musste, hatte Mikke ihn von Rödskär abgeholt. Juha hatte ihm geraten, sich auszukurieren und erst nach dem Wochenende zurückzu-kommen, aber Harri hatte eingewandt, seine Untersuchungen hinkten bereits hinter dem Zeitplan her.
    »Da hat Vater knallhart gesagt, er hätte am Wochenende Gäste auf der Insel und wollte nicht gestört werden. Ich weiß nicht, wen er da zu Besuch hatte. Jedenfalls hat Mikke am Sonntagmorgen angerufen und gefragt, ob ich mitfahren will, wenn er Harri nach Rödskär bringt. Es war ein herrlicher Tag, warm wie im Juni.«
    Da Mikke bald darauf zu seiner Winterreise aufbrechen wollte, hatte Jiri die Chance genutzt, noch einmal mit ihm zu segeln.
    Schon von weitem hatten sie im Hafen von Rödskär ein 15-Meter-Motorboot gesehen, das aussah wie ein Marinekreuzer.
    Da es ihnen nicht ratsam schien, auf der Insel anzulegen, bevor Juhas Gäste abgefahren waren, hatten sie eine Runde um die Landspitze von Porkkala gedreht, und auf dem Rückweg war ihnen das Boot begegnet. Es hatte die litauische Flagge gehisst.
    Juha Merivaara war über Harris vorzeitige Rückkehr keineswegs erfreut gewesen.
    »Vater hatte einen entsetzlichen Kater, er hatte mit seinen Gästen ordentlich gebechert. Die Küche war voll von russischen Wodkaflaschen. Ich wollte die Sauna heizen, aber Vater ist völlig ausgeflippt, wie er das hörte. Als Mikke fragte, ob er in der Sauna eine Frau versteckt hätte, wäre er fast auf ihn losge-gangen. Dann hat er gesagt, einer der Männer hätte alles voll gekotzt, und er wollte selbst sauber machen. Ich war sauer, bin ans Ufer gegangen und hab gesehen, dass eine von den Grasnarben am Südufer umgegraben worden war. Ich hab mir alles Mögliche ausgemalt …«
    Jiri nagte verlegen an seinen Fingernägeln. »Wahrscheinlich hab ich zu viel Fernsehen geguckt, als ich klein war. Ich dachte, denen ist irgendwas schief gelaufen mit ‘ner Frau, und sie ist tot und die Sauna voller Blut, und die Frau haben sie unter der Grasnarbe verscharrt. Ich hab mal ein Buch gelesen, wo so was passiert ist. Ich Blödmann hab nicht daran gedacht, dass es ja viel leichter gewesen wäre, die Leiche ins Meer zu werfen. Erst hab ich in der Sauna nachgeguckt, aber mein Alter hatte nicht gelogen, die war tatsächlich voll gekotzt. Trotzdem hat mir das Grab keine Ruhe gelassen. Eine Leiche lag nicht drin, sondern ein Haufen rostige Farbtonnen und ein paar kleinere Dosen. Ich weiß nicht, warum ich eine davon mitgenommen und in den Felsen am Westufer versteckt hab, vielleicht bloß, um Vater eins auszuwischen. Irgendwie hab ich mich so geschämt wegen der Leichengeschichte, dass ich die ganze Sache vergessen hab.«
    Bald darauf war Jiri krank geworden und erst im Januar wieder nach Rödskär gekommen. Auf den Felsen lagen Eis und Schnee.
    Erst im Sommer hatte er wieder an die mysteriösen Farbtonnen gedacht, aber keine Gelegenheit zu Grabungen gehabt, bis zu dem Wochenende im August, als Antti, Iida und ich auf Rödskär übernachtet hatten. Die vergrabenen Fässer waren inzwischen verschwunden, doch die Dose lag noch in ihrem Versteck am Westufer. An einem der nächsten Wochenenden hatte er sie in seinen Schlafsack gerollt und nach Hause mitgenommen. Bei den Haussuchungen war sie nicht gefunden worden, da Jiri sie auf dem Grundstück der Merivaaras vergraben hatte.
    »Ich hab versucht, von Mutter was über diese litauischen Geschäftspartner zu erfahren, aber sie

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