Der Wind über den Klippen
Mund.
Koivu setzte sich neben mich aufs Sofa. Zum ersten Mal nahm ich die Falten um seine Augen wahr. Auch blonde Teddybären bleiben nicht ewig jung.
»Anu und ich haben gerade mit Seija Saarela gesprochen.«
»Und?«
»Sie hat uns eine Stunde lang die traurige Geschichte ihrer Ehe erzählt. Zwangsheirat mit zwanzig, der Mann interessierte sich nur für Angeln und Alkohol. Mitte der achtziger Jahre haben sie sich scheiden lassen und sich danach nur noch einmal wieder gesehen, beim Schulabschluss des Sohnes. Die Saarela hat sich aus ihrem Exmann mit Sicherheit nicht genug gemacht, um Juha Merivaara seinetwegen umzubringen.«
Ich schloss die Augen wieder. So war es wohl, auch wenn ich es eigenartig fand, dass sich Seija nach dem Tod ihres Mannes ausgerechnet mit der Familie Merivaara angefreundet hatte.
Noch war ich nicht hundertprozentig bereit, sie von der Liste der Verdächtigen zu streichen. Zumindest hatte sie gute Gründe, Juha Merivaaras Mörder zu decken.
»Die Immonens habe ich auch erreicht. Rate mal, ob sie erfreut waren, an den Tod ihres Sohnes erinnert zu werden.«
»Geschenkt.«
Mühsam setzte ich mich auf.
»Sie haben den Computer im Frühjahr verkauft. An Mikael Sjöberg.« Koivu sah aus, als liege ihm noch etwas auf der Zunge, behielt es aber zum Glück für sich.
Der Olivetti-Laptop in der Kajüte der »Leanda« hatte also Harri gehört. Warum hatte Mikke nichts davon gesagt? Wahrscheinlich einfach deshalb, weil er es für unwichtig hielt.
Bestimmt hatte er Harris Dateien längst von der Festplatte gelöscht.
Ich fragte Koivu nach den Dateien, die er bei der Untersuchung unmittelbar nach Harris Tod auf dem Laptop gefunden hatte. Er erinnerte sich nur vage an den Inhalt.
»Irgendwelche Vogeltabellen. Hat mich nicht weiter interessiert, mir reicht es, wenn ich eine Elster von einer Krähe unterscheiden kann. Von irgendwelchen Umweltgiften war die Rede, von Dünger, an dem Seeadler sterben oder so was. Mit Rödskär schien das alles nichts zu tun zu haben. Aber wir können ja Sjöberg fragen. Frau Immonen sagt, er hätte Harris Disketten gleich mitgekauft.«
Sechzehn
Ich lag im sieben Grad kalten Wasser und empfand die Regen-tropfen, die mir ins Gesicht fielen, als warm. Nur das einsame Licht aus der Sauna durchdrang die Schwärze. Das Wasser war tödlich, bei dieser Temperatur setzte bereits nach einer halben Stunde Hypothermie ein. Ich betrachtete meine Brüste, die weiß und warm im Wasser schwammen. Zu schützen brauchte ich sie nicht mehr, sie hatten keine Nahrung mehr für das Kind, das in seiner Tragetasche im kühlen Vorraum der Sauna friedlich schlief.
Die Eltern des ertrunkenen Arttu Aaltonen hatten wissen wollen, ob der Fundort des Leichnams darauf schließen lasse, dass ihr Sohn seinen Entschluss bereut hatte. Sie fürchteten, er habe sich in letzter Sekunde anders besonnen und versucht, an Land zu schwimmen, aber nicht mehr die Kraft dazu gehabt. Ich hatte ihnen nur sagen können, dass Arttu offenbar weit hinaus-geschwommen war, bevor er ertrank.
Das Holz des Bootsstegs war feucht und glatt, anders als meine Arme, die von einer Gänsehaut überzogen waren. Ich klapperte mit den Zähnen, mir lief die Nase. Auch ich kam nicht von der Frage los, was Pertsa in der letzten Sekunde vor dem Schuss gedacht hatte. Sich zu erschießen war leichter und zugleich brutaler, als ins Wasser zu gehen. Wenn man sich ertränkte, riskierte man zudem, gerettet zu werden. Pertsa, der beste Schütze unseres Polizeischuljahrgangs, hatte den sicheren Weg gewählt.
Ich griff nach der Leiter. Meine Arme waren stark, sie zogen mich ins Warme, meine Schenkel, in denen das Blut pulsierte, trugen mich auf den Steg. Der Regen sprühte mir ins Gesicht, ich spürte jeden stechenden Tropfen und dazu die Peitschenhie-be des Windes auf meinem Rücken. Ich wandte dem Meer das Gesicht zu und lachte ihm in die schwarze Fratze, dann lief ich in die warme Sauna.
»Kann man noch schwimmen?«, fragte Antti. Ich überließ meinem Körper die Antwort, drängte mich an ihn und saugte den Dampf von seiner saunaheißen Haut. Salziger Schweiß und salziges Meerwasser vermischten sich, auch die Kälte in meinem Innern verschwand, an ihre Stelle trat der Wunsch, unter die Haut des anderen zu kriechen.
Ich hatte Koivu gebeten, Harris alten Laptop von der »Leanda« zu holen, und Puustjärvi beauftragt, für Montag einen Termin mit Anne Merivaara zu vereinbaren. Dann hatte ich mein Handy abgeschaltet auf den Schreibtisch
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