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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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gewesen.«
    Davon hatten Anne und Riikka nichts gesagt. Hatten sie womöglich gewusst, dass es sich nicht um einen Infarkt handelte? Es klopfte, das Kaffeetablett wurde gebracht. Ich griff gierig nach einem Brot mit Ei und Anschovis, während Katrina mit der gleichen Hast ein Räucherfleisch-Sandwich verschlang.
    »Zu eurer Familie … du warst also die Cousine deines früheren Mannes?« Ich wagte es, du zu ihr zu sagen, denn auch sie hatte mich geduzt, wie unter Finnlandschweden üblich.
    »Zweiten Grades. Unsere Großväter waren Brüder. Die Sjö-
    bergs sind ein altes Seefahrergeschlecht aus Föglö. Unser Urgroßvater war Kapitän, ebenso mein Großvater und mein Onkel.«
    »Wann hat die Familie einen finnischen Namen angenommen?«
    »Der Vater meines Mannes hat die Tochter eines glühenden Patrioten geheiratet, der darauf bestand, dass der Name vor der Heirat geändert wurde. Was tut man nicht alles, um eine reiche Erbin zu ehelichen.«
    Katrina Sjöberg lächelte sarkastisch. Sie berichtete weiter, Juha Merivaaras Mutter sei an Leukämie gestorben, als er acht Jahre alt war. Sie selbst war damals fünfundzwanzig, hatte zwei Jahre zuvor am Wetterhoff-Seminar in Hämeenlinna ihre Ausbildung zur Werkkunstlehrerin abgeschlossen und arbeitete in einem der besten Schneiderateliers von Helsinki, träumte jedoch davon, sich selbständig zu machen.
    »Wir Sjöbergs sind immer schon Opportunisten gewesen. Ich habe mich an meinen Vetter Martti angeschlossen, weil er reiche Bekannte hatte und ich hoffte, durch ihn Kunden für mein Atelier zu gewinnen. Martti war nach dem Tod seiner Frau einsam, und mich faszinierte dieser fünfzehn Jahre ältere, selbstbewusste Mann, der Geld für Blumen und Restaurantbesu-che ausgeben konnte. Vielleicht hielt ich ihn in meinem dummen kleinen Kopf sogar für eine tragische Gestalt, weil er Witwer war. Dann kam es, wie es kam, die klassische Situation.
    Wir haben schleunigst geheiratet, im Frühjahr zweiundsechzig.
    Eine Woche nach der Hochzeit hatte ich eine Fehlgeburt.«
    Wieder lächelte sie spöttisch. »Martti hätte mich sicher nicht geheiratet, wenn ich nicht schwanger gewesen wäre, als reprä-
    sentative Gattin war ich nämlich nicht zu gebrauchen. Zu viel eigene Ideen, zu viel Ehrgeiz. Ich habe ziemlich erfolglos versucht, Juha die Mutter zu ersetzen. Dass ich wieder schwanger wurde, hat die Trennung verzögert, aber im Herbst vierundsechzig bin ich mit dem einjährigen Mikke ausgezogen.
    Wir haben weiterhin in Helsinki gewohnt, damit Mikke seinen Vater und seinen Bruder besuchen konnte. Das Verhältnis zwischen Martti und mir war miserabel.«
    Katrina trank ein paar Schlucke Kaffee, bevor sie fortfuhr:
    »Martti ist zweiundachtzig gestorben, im selben Jahr hat Mikke Abitur gemacht. Der Junge hat die Hälfte vom Eigentum seines Vaters geerbt, also ein Viertel der Merivaara AG. Da fand ich, meine Fürsorgepflicht sei nun beendet, und bin auf meine Heimatinsel zurückgekehrt, nach der ich mich schon lange gesehnt hatte.«
    Während sie sprach, hatte ich Namen und Jahreszahlen notiert und eine Art Stammbaum der Familie Sjöberg-Merivaara gezeichnet. Dennoch durchschaute ich die Verwandtschaftsbe-ziehungen und Besitzverhältnisse nicht ganz. Ich hoffte, aus der Bandaufnahme und Puupponens Notizen schlauer zu werden.
    »Kommen wir zum gestrigen Abend. Du warst also aus Föglö angereist, um Annes Geburtstag zu feiern?«
    »So nahe stehen wir uns nicht. Ich war hier, um ein paar Freunde und natürlich meinen Sohn zu besuchen. Mikke schlug mir dann vor, gemeinsam nach Åland zu segeln, und Rödskär lag auf dem Weg. Bei Mikkes Segeltörns weiß man nie, was passiert, womöglich ist er diesmal wieder zwei Jahre unterwegs.
    Deshalb sollte man sich besuchen, solange man es noch kann.«
    Ihre Stimme klang traurig, und plötzlich wirkte sie alt und erschöpft.
    »Wusstest du, was letztes Jahr an Annes Geburtstag passiert war?«
    »Mikke hat es mir erzählt. Ich hatte diesen Harri Immonen ein paar Mal getroffen. Ein netter junger Mann, der nicht viel Worte machte.«
    »Wie war die Atmosphäre auf der Geburtstagsfeier?«, fragte ich und nahm noch ein Brot.
    »Ganz normal. Juha hat Anne halbherzige Komplimente gemacht, Jiri hat gemotzt, Riikka und Tapsa hatten nur Augen füreinander. Wir anderen haben uns bemüht, für Stimmung zu sorgen.«
    Mit einigen weiteren Fragen versuchte ich herauszufinden, weshalb Juha Merivaara so viel getrunken hatte, dabei wusste ich noch gar nicht, wie hoch sein

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