Der Wind über den Klippen
Hochkonjunktur verkauft, zu einem stolzen Preis. Anfang der neunziger Jahre musste Juha neues Kapital aufnehmen, um die Firma über Wasser zu halten.«
Ich hatte keine weiteren Fragen. Da Katrina Sjöberg ohne Unterkunft war, organisierte ich ihr einen der Ruheräume im Präsidium. Mikke würde erst in einer guten Stunde eintreffen.
Ich ging zurück in unser Dezernat, um mir die Zähne zu putzen und beim Handelsregister per Fax ein Verzeichnis der Eigentümer der Merivaara AG anzufordern. Puupponen schickte ich nach Hause, bei Mikkes Vernehmung konnte mir Koivu assistieren.
Es war mittlerweile drei Uhr, und im Dezernat war es still. Die Krawallbrüder vom gestrigen Abend waren bereits vernommen und auf freien Fuß gesetzt worden, bis auf den schlimmsten Schläger, der das Wochenende in der Arrestzelle verbrachte.
Das Sanitäterboot musste bald im Hafen sein. Wenn sich der Dienst habende Pathologe sofort an die Arbeit machte, würden die ersten Ergebnisse am Abend vorliegen. Die Todeszeit würde er vermutlich nicht wesentlich genauer eingrenzen können, als wir es anhand der Zeugenaussagen bereits getan hatten: zwischen halb zwei und sieben Uhr früh. Die wichtigste Frage war jedoch, wie die Kopfverletzung entstanden war.
Das Telefon klingelte.
»Puustjärvi hier, hallo. Wir sind im Yachthafen in Soukka.
Was soll ich jetzt mit den Leuten machen?«
»Lass sie gehen, hatten wir das nicht schon besprochen? Sag ihnen, dass ich sie später zur offiziellen Vernehmung vorlade.«
»Na gut. Ich fühl mich ein bisschen benommen, ich bin nämlich während der Fahrt eingeschlafen, nachdem ich die ganze letzte Nacht Dienst hatte.«
Ich seufzte. Puustjärvi war total erschöpft, klar, aber ich hatte wissen wollen, ob unterwegs irgendwelche wichtigen Bemerkungen gefallen waren.
»Wenn du hier nichts mehr zu tun brauchst, kannst du von mir aus gleich nach Hause fahren.«
»Ich muss nur meinen Wagen holen.«
»Dann schau bei mir rein, ich halte dich nicht lange auf.«
Obwohl kaum vierzig, war Puustjärvi ein Polizist der so genannten guten alten Zeit. In Kirkkonummi hatte er die Dorfganoven – kleine Diebe, Saufbolde und Schwarzbrenner –
persönlich gekannt und zu nehmen gewusst. Ich fragte mich, wieso er sich im Zuge der Reorganisation zur Versetzung nach Espoo gemeldet hatte, denn es war mir schon ein paar Mal aufgefallen, dass harte Berufsverbrecher ihn aus dem Konzept brachten. Er war offenbar daran gewöhnt, dass auch die Gauner fair spielten. Eine Frau als Vorgesetzte war ebenfalls eine neue Erfahrung für ihn, er hatte mich eine Woche lang misstrauisch beobachtet, doch seither hatten wir keine Probleme mehr miteinander.
»Na?«, fragte ich, als Puustjärvi mir am breiten Schreibtisch meines neuen Dienstzimmers gegenübersaß.
»Was na?«, fragte er zurück, und ich war nicht sicher, ob seine Begriffsstutzigkeit von der Müdigkeit herrührte oder ob er tatsächlich nicht wusste, was ich meinte.
»Wie war die Fahrt?«
»Ziemlich still. Der grünhaarige Junge hat mit Kopfhörern in der Vorderkabine gelegen. Das Mädchen hat ab und zu geweint und dann wieder das Boot gesteuert, als hätte sie nie was anderes getan. Meistens war aber Holma am Ruder. Der Altersunterschied zwischen den beiden ist ziemlich groß. Soweit ich es verstanden habe, war der Vater des Mädchens gegen die Verbindung.«
Puustjärvi war auf halbem Weg eingeschlafen und erst in den inneren Schären wieder aufgewacht. Als er zu sich kam, hatte Tapio Holma gerade die schluchzende Riikka geküsst und gesagt, nun könne sie niemand mehr daran hindern, zu ihm zu ziehen.
Daran hätte Juha Merivaara seine volljährige Tochter wohl ohnehin nicht hindern können, aber interessant war die Bemerkung schon. Ich ging zum Faxgerät, wo eine an mich adressierte Sendung lag: die Besitzverhältnisse der Merivaara AG. Juha Merivaara hielt mit zweiundsiebzig Prozent die klare Mehrheit, seine Frau besaß sechzehn Prozent der Aktien, und die restlichen zwölf Prozent gehörten einer Aktiengesellschaft namens Mare Nostrum, über deren Besitzer nichts angegeben war. Also musste ich noch ein Fax losschicken.
Der Regen hatte aufgehört, doch der Himmel war nach wie vor wolkenverhangen. In der vorigen Woche war die Herbst-Tagundnachtgleiche gewesen, die Tage waren mittlerweile so kurz geworden, dass ich zeitweise sogar bereit gewesen wäre, für ein paar Stunden Sonnenschein zu zahlen. Eigentlich mochte ich die dunkle Zeit, bei Kerzenlicht und heißem Tee mit
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