Der Wind über den Klippen
lassen zu können, sie festhalten zu müssen, so aussichtslos der Versuch auch erschien. Schließlich lud er sie zu einem Opernabend ein.
Ihre unübersehbare Freude ließ ihn hoffen, dass das Interesse nicht so einseitig war, wie er gefürchtet hatte. Beim Abschied wagte er es, sie wieder auf die Wange zu küssen, und diesmal erwiderte Riikka die Geste.
»Zuerst war es schwierig, da sie ja noch bei ihren Eltern lebte.
Allerdings waren Anne und Juha anfangs sehr freundlich, sie glaubten vielleicht, mir Dank schuldig zu sein.«
»Aber später hatte Juha Merivaara Einwände gegen eure Beziehung?«
Tapio Holma runzelte die Stirn und fuhr sich wieder durch die Haare. Es war eine jungenhafte Geste, der das Selbstbewusstsein eines Marquis de Posa völlig fehlte. Oder spielte Holma nur den Vierzigjährigen, der nervös wie ein Teenager zum ersten Rendezvous erscheint?
»Na ja … Juha hielt den Altersunterschied für zu groß, da hat er keinen Hehl daraus gemacht. Er war auch dagegen, dass Riikka zu mir zog. Ich wollte kein Drama, mein Leben war in letzter Zeit dramatisch genug. Riikka wohnt aber praktisch bei mir.«
Sein Handy unterbrach ihn. Beinahe hätte ich laut aufgelacht, denn das Telefon piepste die Arie des Toreadors aus »Carmen«, was völlig wahnwitzig klang. Zählte auch der Toreador Escamil-lo, ein Bariton, zu Holmas Lieblingsrollen?
Da Holma das Handy abschaltete, ohne das Gespräch anzu-nehmen, fragte ich ihn nach der Nacht, in der Juha Merivaara gestorben war.
»Darüber haben wir ja schon einmal gesprochen. Mir ist an dem Abend nichts Besonderes aufgefallen. Juha hat eine sehr nette Rede auf Anne gehalten, und wir haben auf ihren Geburtstag angestoßen. Jiri motzte zwar, aber das war nichts Neues. Er hätte lieber in Turku gegen eine Pelzmodenschau demonstriert, statt auf Rödskär zu prassen.«
Auch in der Nacht hatte Holma nichts gehört, allerdings schlief er meist tief und fest. Mikkes Klopfen hatte ihn um Viertel nach sieben geweckt.
»Was hat er gesagt?«, fragte ich neugierig.
»Mikke? Er war weiß bis in die Lippen und stammelte, Juha wäre vom Felsen abgestürzt, und er bräuchte mein Handy, um Hilfe zu holen.«
»Hilfe? Bist du sicher, dass er von Hilfe gesprochen hat?«
»Wieso? Nein, ganz sicher bin ich mir nicht. Frühmorgens bin ich nicht in Höchstform, außerdem waren Riikka und ich natürlich schockiert.«
Hätte Mikke die Polizei alarmieren wollen, wäre das ein Hinweis darauf gewesen, dass er nicht an einen Unfalltod glaubte. War er aber selbst der Täter, musste er natürlich den Eindruck erwecken, Juha sei verunglückt. Wie hatte er eigentlich reagiert, als seine Kleidung abgeholt wurde? Ich musste unbedingt Puustjärvis Bericht lesen, bevor ich nach Hause fuhr.
»Warum bist du mit Sjöberg zu der Leiche gegangen, statt ihm einfach das Handy mitzugeben?«
»Er wollte nicht alleine hin. Er war ganz durcheinander, wie wir alle. Nur Katrina Sjöberg hatte sich unter Kontrolle, sie ließ Seija Tee kochen und beruhigte die Merivaaras. Anne wollte sofort zu Juha rennen, wir konnten sie nur mit Mühe davon überzeugen, dass nichts mehr zu machen war.«
Nachdem Holma gegangen war, rief ich die Vorstrafenregister auf. Mit Ausnahme von Jiri waren alle Beteiligten unbescholten.
Als Letztes holte ich mir Juha Merivaaras Daten auf den Bildschirm. Er hatte eine lange Latte von Geldbußen wegen Geschwindigkeitsübertretung, doch mich interessierte nur eine Eintragung: Im Dezember 1991 war seine Segelyacht mit einem Außenborder kollidiert, dessen Fahrer bei dem Unfall ums Leben gekommen war. Juha Merivaara hatte eins Komma zwei Promille gehabt.
Sechs
Am Dienstagmorgen erklärte Antti, er wolle am Nachmittag mit Iida »in die Stadt«. Darunter versteht man in Espoo das Zentrum der Nachbarstadt Helsinki.
»Zur Fahrraddemo«, sagte er. »Am ersten Dienstag des Monats blockieren unmotorisierte Fahrzeuge und Fußgänger die Mannerheimintie.«
Ich hatte von dieser allmonatlichen Veranstaltung gehört, die von der Helsinkier Bereitschaftspolizei streng kontrolliert wurde. Bisher hatte es keine ernsthaften Konflikte gegeben, aber einige Autofahrer waren mittlerweile sehr aufgebracht. Sie warfen die Demonstranten mit aggressiven Umweltaktivisten in einen Topf und hielten sich für berechtigt, sie zu bespucken und mit Steinen zu bewerfen.
»Immer lächeln, vergiss das nicht, und sieh zu, dass Iida hübsch gekämmt ist. Die Sicherheitspolizei macht garantiert Fotos«, sagte ich und
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