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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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umarmten uns, Taskinen ließ den Arm wie versehentlich auf meiner Schulter liegen.
    »Eins zu null, na, was hab ich gesagt?«, grinste ich, als die letzte Minute der Spielzeit anfing. »Durchhalten, Jungs, durchhalten! Scheißschiri, pfeif ab!« Der Zeiger stand auf Null, und die Ungarn machten Druck.
    »Solche Machosprüche aus dem Mund einer Feministin?«, frotzelte Koivu. In dem Moment kam die Katastrophe.
    Eigentor. Eins zu eins, keine Chance mehr, an der WM teilzunehmen.
    Niedergeschlagen und frierend verließen wir das Stadion. Ich versuchte mir einzureden, es sei kindisch, über ein verlorenes Fußballspiel Tränen zu vergießen, war aber stinksauer. Außerdem fror ich erbärmlich.
    »Zum Heulen ist das, verdammt nochmal«, jammerte Puupponen. Die blauen Kreuze auf seinen Backen waren im Regen zerlaufen, die nasse Hose klebte ihm an den Beinen.
    »Kommt mit, jetzt saufen wir uns einen an.«
    »Mit Grog«, seufzte ich. »Ich trink nie mehr Eger Stierblut.«
    »Und mir kommt kein Paprika mehr ins Haus«, sagte Puupponen mit einer Verzweiflung, die mich an Ström denken ließ.
    Pertsa hätte sich allerdings drastischer geäußert und gedroht, den Schiedsrichter umzulegen, wie die jungen Burschen, die neben uns aus dem Stadion strömten.
    Wir landeten im »Durstigen Lachs«, wo wir uns die Kehlen wärmten. Trotz der bitteren Niederlage zog sich der Abend in die Länge. Am nächsten Morgen um acht krabbelte Iida aus ihrem Gitterbettchen zu mir, und ich kam mir vor wie die schlechteste Mutter der Welt, weil ich absolut keine Lust hatte, aufzustehen und Brei für sie zu kochen. Als sie mich an den Haaren zog, wollte mir schier der Kopf platzen. Heldenmütig schleppte ich mich an den Herd, denn Antti war schon im Morgengrauen zu einer ausgedehnten Wanderung aufgebrochen.
    Es regnete den ganzen Tag, ich las Iida, die wahrscheinlich kaum etwas verstand, aus »Muminvaters Memoiren« vor.
    Während die Kleine ihren Mittagsschlaf hielt, versuchte ich meinen Kater auszuschlafen. In meinen wirren Träumen tauchten immer wieder qualvoll quiekende Schweine und die Polizeifotos von Harris Leiche auf. Harri war Mitglied der Revolution der Tiere gewesen, Harri und Jiri … Aber was war mit Juha Merivaara? Hatte er womöglich die Aktionen der RdT
    finanziert?
    Am Montagmorgen verwarf ich diese Theorie wieder. Neben den üblichen Wochenendschlägereien waren gleich drei Ver-misstenanzeigen in unserem Dezernat gelandet. Eine vierzigjährige Betriebswirtin, Mutter von zwei Kindern, war vom Pilzesammeln am Sonntagnachmittag nicht zurückgekehrt, ein arbeitsloser Familienvater aus Suvela war seit seiner samstäglichen Kneipentour verschollen. Schon seit Freitagabend wurde der Primaner Arttu Aaltonen aus Tapiola vermisst; er war zuletzt gegen Mitternacht gesehen worden, als er eine Party in einer Strandvilla in Westend verließ. Da er seit Wochen von Selbstmord gesprochen hatte, befürchteten seine Freunde, er sei von der nahe gelegenen Brücke ins Meer gesprungen. Die Feuerwehr musste schleunigst zum Draggen angefordert werden. Ich delegierte den Fall an Koivu.
    »Drei Vermisste. Da treibt bestimmt ein Serienmörder sein Unwesen«, kommentierte der hustende und schniefende Puupponen.
    »Begründung?« Ich war nicht in der Stimmung für Witze.
    »Wir müssen Prioritäten setzen. Die Körperverletzungen können warten. Vermisste und Kapitalverbrechen zuerst. Puustjärvi, du führst mit Lehtovuori die Vernehmungen der Primaner fort. Und Puupponen …«
    Es mussten schnelle Entscheidungen getroffen werden, weil einfach zu viele Fälle anlagen. Ich merkte, dass mir Ström geradezu fehlte, nicht nur als zusätzliche Arbeitskraft. Bei Vermisstenfällen war er seltsamerweise unschlagbar, was Puupponen darauf zurückführte, dass sich Ström während seiner Ehe mehr als einmal selbst abgesetzt hatte – einer der Gründe, weshalb ihn seine Frau verlassen hatte.
    Der Mangel an Mitarbeitern bot mir einen willkommenen Vorwand, mich weiterhin selbst mit dem Mord an Juha Merivaara zu befassen. Nach der Besprechung ging ich in mein Büro und rief bei der Sicherheitspolizei an. Jiri war nach Ablauf der Höchstfrist von achtundvierzig Stunden freigelassen worden, sollte jedoch später erneut vernommen werden. Die Sicherheitspolizei hatte herausgefunden, dass die Praktikantin, von der der Betriebsleiter der Fleischfabrik gesprochen hatte, die Schwester eines RdT-Mitglieds war. Die fünfzehnjährige Schülerin des Gymnasiums Espoonlahti war unter dem

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