Der Wind über den Klippen
dieser Vorfall«, begann Suurpää, als wolle er deutlich machen, dass wir auf der gleichen Seite standen.
»Der Staatsanwalt ist gezwungen, Anklage zu erheben, zumal die Sache an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Aber sprechen wir zuerst über Kommissar Ströms Vorgeschichte. Sie haben etwa drei Jahre mit ihm zusammengearbeitet, kennen ihn also recht gut.«
»Genau genommen haben wir uns bereits Anfang der achtziger Jahre auf der Polizeischule kennen gelernt, und auch danach sind wir uns gelegentlich über den Weg gelaufen.«
»Ström hat früher bereits einige Verwarnungen wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Festgenommenen erhalten. Haben Sie diesbezügliche Erfahrungen?«
Ich sah mich gezwungen, von Kimmo zu erzählen, einem jungen Mann, dessen Verteidigung ich während meines kurzen Intermezzos in einer Anwaltskanzlei vor rund vier Jahren übernommen hatte. Ström hatte Kimmo, der unter Mordverdacht stand, beim Sexspiel in schwarzem Gummi angetroffen und ihn vom Fleck weg aufs Revier geschleift. Und dann war da noch Joona Kirstilä, den Pertsa zu einer Schlägerei provoziert hatte.
Anschließend hatte er Kirstilä mit einer Anzeige wegen Widerstand gegen einen Beamten gedroht, obwohl er selbst viel härter zugeschlagen hatte.
Aber so mancher Polizist hatte ein ähnliches Sündenregister wie Pertsa. Und ich hatte ihn auch anders erlebt. Bei einer Festnahme hatte die Tatverdächtige versucht, sich in einem Eisloch zu ertränken. Pertsa war ihr nachgesprungen und hatte ihr das Leben gerettet. Ich erwähnte auch diesen Vorfall, obwohl Kommissar Suurpää meinte, das gehöre nicht zur Sache.
»Kommen wir nun zu der Tat selbst. Hauptmeister Koivu und Sie waren nicht im Raum, als die Prügelei begann, haben aber den Lärm bis auf den Flur gehört?«
Ich berichtete, wie wir in den Vernehmungsraum gestürmt waren und Ström von Väätäinen fortgezerrt hatten.
»Meiner Ansicht nach hat Väätäinen Kommissar Ström provoziert. Ström hat seit Jahren immer wieder gegen den Mann ermitteln müssen, aber er war einfach nicht hinter Gitter zu bringen. Zuerst hat seine Frau sich geweigert, Anzeige zu erstatten, dann wurde ein Schlichtungsverfahren angeordnet.
Insofern ist es kein Wunder, dass Ström frustriert war.«
»Es ist natürlich lobenswert, dass Sie als Ströms unmittelbare Vorgesetzte ihn verteidigen, aber Sie kennen das Gesetz so gut wie ich. Gewaltanwendung bei einer Vernehmung ist unent-schuldbar. Väätäinen hat, wie Sie wissen, auch auf Ströms Scheidung angespielt, die aber schon Jahre zurückliegt. Wieso hat diese Bemerkung Ström derart aufgebracht?«
»Ich habe mit Kommissar Ström nicht darüber gesprochen, da er ungern über sein Privatleben redet, ich kann also nur Vermu-tungen anstellen. Ströms Exfrau hat vor knapp zwei Wochen wieder geheiratet. Ström selbst hatte die Scheidung damals nicht gewollt und hing sehr an seinen Kindern. Deshalb fand er es wohl unbegreiflich, dass jemand wie Väätäinen immer wieder seine eigene Familie misshandelt.«
»Sie scheinen das Seelenleben Ihres Untergebenen ja sehr gut zu kennen. Offenbar hegen Sie nicht den Wunsch, dass Kommissar Ström aus dem Polizeidienst entlassen wird?«
»Das steht hier wohl nicht zur Debatte«, fuhr ich auf. Ich wusste selbst nicht, wie ich darüber dachte. Einerseits wäre es eine Erleichterung, Ström loszuwerden, andererseits hatte ich zu meinem Erstaunen gemerkt, dass ich sein grimmiges Gesicht vermisste.
»Ström hatte zur Tatzeit null Komma sechs Promille«, erklärte Kommissar Suurpää. »Ist Ihnen aufgefallen, dass er Alkohol-probleme hatte, Hauptkommissarin Kallio?«
Nun steckte ich in der Zwickmühle. Wenn ich behauptete, nichts bemerkt zu haben, stand ich als naives Dummerchen da.
Sagte ich aber, ich hätte davon gewusst, konnte man mir vorwerfen, meine Pflichten als Vorgesetzte vernachlässigt zu haben.
»Ich hatte es bemerkt und mir vorgenommen, die Sache bei nächster Gelegenheit zur Sprache zu bringen und Kommissar Ström in Behandlung zu schicken. Leider ist es dazu nicht mehr gekommen, aber ich kümmere mich darum, sobald Kommissar Ström wieder im Dienst ist.«
»Das möchte ich Ihnen dringend raten. Wissen Sie, ob das Alkoholproblem bereits seit längerem bestand?«
Ich schüttelte den Kopf und berief mich darauf, ein Jahr lang nicht im Dezernat gearbeitet zu haben. Zwar erinnerte ich mich an die leere Schnapsflasche, die ich kurz vor dem Mutterschaftsurlaub in Pertsas Schreibtisch gefunden hatte,
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