Der Wind über den Klippen
Nahrung und Geborgenheit gab, er war wie ein großes warmes Nest, in dem sie sich verkroch, nachdem sie sich das Bäuchlein mit der besten Speise gefüllt hatte, die sie kannte.
Mit drei Monaten hatte sie mittags nach dem Stillen zum ersten Mal gelächelt: Am Strahlen ihrer Augen hatte ich erkannt, dass es kein unbewusstes Engelslächeln war. Am bezauberndsten waren ihre lachenden Augen gewesen, wenn ich sie nach dem Mittagsschlaf an der frischen Luft, in Decken gehüllt und den Schnuller im Mund, aus dem Wagen hob und ins Haus trug.
Zum Glück hatte die Klavierkante sie nur an der Schläfe getroffen … Ich küsste Iida auf die Augenlider, beschnupperte sie und brummte dabei, bis wir beide zu nichts anderem mehr fähig waren, als zu lachen und uns gegenseitig das Gesicht abzuküssen. Den Anisschnaps brauchte ich jetzt nicht mehr.
Dreizehn
Als um halb sieben der Wecker klingelte, verfluchte ich meinen Eifer, am frühen Morgen eine Besprechung abzuhalten. Der fast volle Mond warf einen breiten Lichtstreifen über die dunklen, von Raureif überzogenen Felder, das Thermometer zeigte zwei Grad unter Null. Ich hoffte, unser alter Fiat würde anspringen, am Abend hatte ich nämlich vergessen, den Heizer einzuschalten.
Ich stellte die Kaffeemaschine an und setzte Iidas Frühstücksbrei auf, bevor ich zum Briefkasten am Gartenzaun ging, um die Zeitung zu holen. Der Frost öffnete mir die verquollenen Augen.
Der Wald roch nach Moder, als versuchte er, mit seinem kräftigen Aroma gegen den Herbst und den Tod anzukämpfen.
Die Erlenblätter, die sich rund um den Briefkasten angesammelt hatten, waren schwarzgrau, der Nachtfrost hatte sie mit Reifper-len bestickt.
Nach einigen beschwörenden Worten sprang der Fiat tatsächlich an, doch das Lenkrad war so kalt, dass ich es nur mit Handschuhen anfassen konnte. In Mankkaa stand ich im Stau und drehte wütend am Knopf des Autoradios, um einen Sender zu finden, der keine künstliche Munterkeit verbreitete. Zum Glück saß in irgendeinem Studio ein Morgenmuffel, der so verdrießlich gestimmt war wie ich und »The Unforgiven« von Apocalyptica aufgelegt hatte. Die hysterischen Celloklänge versetzten mich beinahe in gute Laune.
Puustjärvi und Koivu saßen bereits mit ihren Kaffeetassen im Konferenzzimmer und kommentierten den gestrigen Eishockey-spieltag.
»Du bist gestern in Tikkurila einfach verschwunden«, sagte Koivu zur Begrüßung.
»Ich war derart mies gelaunt, ich wollte nur noch weg. Haben sie dich lange festgehalten?«
»Eine Dreiviertelstunde. Komische Fragen hatten sie. Zum Beispiel, ob du Ström loswerden willst. Sie meinten, vielleicht hättest du Väätäinen bestochen, ihn zu provozieren. Ich hab ihnen erklärt, als Feministin würdest du mit einem, der seine Frau verprügelt, nie im Leben gemeinsame Sache machen.«
Ich grinste schief. Mir war nicht ganz klar, was da ablief. Von wem hatte Suurpää seine Bestechungstheorie, wenn nicht von Ström? Und wen wollte man hier eigentlich loswerden, ihn oder mich?
Kantelinen kam drei Minuten zu spät. Als Erstes sprach er kurz über die Finanzlage der Merivaara AG, an der es nichts auszusetzen gab. Die Firma hatte die schwierige Zeit zu Beginn des Jahrzehnts unbeschadet überstanden, und in der letzten Rechnungsperiode war der Export in Schwung gekommen. Ein traditionsreicher Familienbetrieb mit modernem Umweltbewusstsein war offenbar eine zugkräftige Kombination. Die Bücher waren einwandfrei geführt, die Investitionen gerechtfer-tigt. Der Erwerb von Rödskär war nicht nur gut fürs Image, sondern auch ein geschickter Steuertrick gewesen. Das Einzige, was das makellose Bild trübte, war der Anteilseigner Mare Nostrum, über den die Unternehmenspapiere außer der Post-fachadresse auf Guernsey nichts hergaben.
»Steuerhinterziehung?«, erkundigte sich Puustjärvi.
»Vielleicht, es gibt aber auch andere Möglichkeiten«, antwortete Kantelinen. »Die Firma hat in den letzten zehn Jahren keine hohen Dividenden ausgeschüttet, bei einem Aktienanteil von zwölf Prozent kommt dabei nicht viel zusammen, insgesamt vielleicht eine Million Finnmark. Lohnt es sich, für eine solche Summe einen riskanten Geldumlauf aufzuziehen? Wenn es um Steuerbetrug ginge, müsste man annehmen, dass hinter der Mare Nostrum dieselben Leute stehen wie hinter der Merivaara AG.
Das erscheint mir sinnlos.«
»Worum geht es denn dann?«, fragte ich ungeduldig.
»Die Mare Nostrum hat die Merivaara-Aktien 1991 gekauft, also auf dem Tiefpunkt
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