Der Wind über den Klippen
Merivaara gestorben war, wohl in der Hoffnung, Riikka werde sich in Widersprüche verwickeln. Doch vergeblich, sie blieb bei ihrer Aussage, Tapio und sie selbst hätten fest geschlafen. Es war sinnlos, die Vernehmung fortzusetzen, ich ließ Riikka gehen.
Durch die offene Tür zum Gang schnappte ich ihren Wortwechsel mit Tapio Holma auf.
»Komm mit zu mir. Wir sind so lange nicht mehr ungestört zusammen gewesen«, klagte Holma.
»Jetzt nicht. Ich möchte eine Weile allein sein«, wehrte Riikka ab.
»Ich brauche dich, Riikka. Ich muss bis morgen früh entscheiden, ob ich die Operation riskieren will. Du musst mir dabei helfen.«
»Ich will aber nicht! Ich trau mich nicht, die Verantwortung für deine Stimme und deine Zukunft zu übernehmen!«, zischte Riikka. »Bring mich nach Hause. Ach was, ich kann auch mit dem Bus fahren.«
Dem Klopfen der Absätze nach ging sie mit raschen Schritten davon. Holma folgte ihr bald darauf.
»Am besten machen wir uns auf den Weg nach Tikkurila, wir können ja unterwegs was essen«, seufzte ich. Koivu hatte das Tonband zurückgespult und schrieb gerade die Vernehmungsda-ten auf die Kassette.
»Fahren wir bei McDonald’s vorbei«, schlug er vor und sah mich erstaunt an, als ich schroff ablehnte.
»Nein danke, keine Hamburger. Ich möchte ohne ideologische Konflikte essen. Wie wäre es mit Kartoffelbrei in der Kantine?«
Im Schatten der Grünpflanzen saß Taskinen mit Laine vom BGK beim Mittagessen. Ich setzte mich dazu, während Koivu erklärte, er speise lieber mit Gleichgestellten, und sich zu den Kriminalmeistern vom Raubdezernat verzog.
»Orion hat wieder einen Drohbrief bekommen«, berichtete Taskinen. »Wenn die Firma ihre Tierversuche nicht einstellt, würden die Tiere in nächster Zeit befreit. Unterschrift: Revolution der Tiere.«
»Die jungen Leute sind ja ganz schön rege. Soweit ich weiß, sitzen doch immer noch einige von ihnen bei der Sicherheitspolizei.«
»Das ist eine ernste Sache, Kallio!«, mahnte Laine und wischte sich einen Klecks Kartoffelbrei von der dunkelblauen Seidenkrawatte.
»Warum sollten wir die Orion-Labors schützen, wenn unsere Ressourcen nicht mal ausreichen, den Opfern häuslicher Gewalt beizustehen?«, sagte ich schneidend und dachte sowohl an Ari Väätäinen und seine Frau als auch an einen Fall vom letzten Wochenende, bei dem eine Frau fast ums Leben gekommen wäre. Auch in dieser Familie war Gewalt seit langem an der Tagesordnung gewesen.
Taskinen nahm meine Bemerkung zum Anlass, das Gespräch auf Pertti Ström zu bringen.
»Bei Perttis langem Sündenregister sieht es schlecht für ihn aus. Es bleibt uns keine andere Wahl, als die Suspendierung mindestens bis zum Prozess zu verlängern. Durchaus möglich, dass er danach aus dem Dienst entlassen wird.«
»Wie wird dein Gutachten ausfallen?«
Ich schaute tief in Taskinens nüchterne, graublaue Augen. Er konnte Ström noch weniger leiden als ich, das war mir klar.
»Pertti hat seine guten Seiten, aber als Vorgesetzter hat er sich nicht bewährt. Er hatte zwar eine hohe Aufklärungsrate, aber um welchen Preis! Im letzten Winter stand das halbe Dezernat kurz vor dem Burn-out, weil das Arbeitsklima unerträglich war.«
Taskinen erwiderte meinen Blick und hätte mich sicher bei den Händen gefasst, wenn Laine nicht mit am Tisch gesessen hätte.
»Dem Väätäinen hätte ich in der Situation auch eine runter-hauen mögen«, knurrte ich.
»Ich genauso. Aber wir hätten es nicht getan.«
Dazu gab es nicht viel zu sagen. Ich stand auf und gab Koivu das Zeichen zum Aufbruch. Während der Fahrt rief ich zu Hause an. Antti berichtete, Iida sei problemlos aus der Narkose erwacht und esse jetzt gerade Möhrenpastete, als hätte sie seit einer Woche nichts bekommen. Trotzdem versprach ich, spätestens um vier zu Hause zu sein.
Ich war schon einige Male vernommen worden, zuletzt nach dem Geiseldrama, bei dem mein Kollege Palo und sein Entführer, ein entflohener Sträfling, während der polizeilichen Belagerung ums Leben gekommen waren. Dennoch fiel mir der Rollenwechsel von der Vernehmerin zur Befragten schwer. An der Vernehmung nahmen nur zwei Beamte teil, Kommissar Suurpää und Hauptmeister Peltonen, der jedoch kein Wort von sich gab. Suurpää war ein Schrank von einem Mann, über eins neunzig groß, massig, mit dichtem schwarzem Haar, das von grauen Strähnen durchsetzt war. Man sah ihm an, dass er lange vor seinem sechzigsten Geburtstag schlohweiß sein würde.
»Sehr bedauerlich,
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