Der Windsänger
eines von ihnen schlägt, könnten wir durch die Lücke rennen.
Aber was passiert dann mit Mumpo?
Da machte Mumpo auch schon einen Satz nach vorn und schlug einem der Kinder auf die Nase. Sofort fiel er nach hinten über und jammerte kläglich.
»Kess! Kess!«
Kestrel fing ihn auf und er wimmerte in ihren Armen.
»Hab was falsch gemacht, Kess. Hilf mir.«
Die alten Kinder kicherten und ihr Anführer sagte: »Zeit, nach Hause zu gehen. Ihr habt schon zu viele Unterrichtsstunden verpasst. Denkt an eure Noten.«
»Nein!«, rief Kestrel aufgebracht. »Lieber sterbe ich hier!«
»Oh, ihr werdet nicht sterben«, entgegnete der Junge mit der tiefen, einschmeichelnden Stimme und kam näher. »Ihr werdet einfach nur alt.«
Es gab keinen Ausweg. Entsetzt schloss Bowman die Augen und wartete darauf, dass ihn die knochigen Hände berührten. Er hörte ihre Schritte, als sie noch näher heranschlurften. Doch auf einmal war da außer dem Ächzen des Windes noch ein anderes Geräusch: das eines Horns, das heulte wie eine Sirene. Mit großer Geschwindigkeit näherte es sich.
Plötzlich war das Heulen über ihnen und es krachte, knackte und knarrte gewaltig, als ein hochrädriger Landsegler aus dem Sturm heranbrauste. An seinen ausgestreckten Armen flatterten Netze. Sofort wusste Kestrel, was sie zu tun hatte: Bevor das Gefährt vorbeifahren konnte, packte sie Bowmans Handgelenk mit der einen und Mumpos mit der anderen Hand und schleuderte sich mit den beiden Jungen in seinen Weg. Sofort wurden sie von den Netzen aufgefangen und mitgerissen. In den groben Maschen zappelnd, rasten sie mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die sandgepeitschte Ebene.
Sobald sie wieder zu Atem gekommen war, kletterte Kestrel im brausenden Wind am Netz hoch bis zu den Holzbalken, den Armen des Landseglers. Dort klammerte sie sich fest und schaute sich um. Unter sich sah sie Mumpo, der wie ein gefangenes Tier kopfüber im Netz hing und wie am Spieß schrie. Bowman war indessen ihrem Beispiel gefolgt und kletterte am Netz hinauf. Das war nicht leicht, denn der Landsegler fuhr so schnell, dass ihn jede Unebenheit im Boden rucken und schlingern ließ, und dazu wehte ihnen noch der Sand um die Ohren. Immer noch heulte das Horn an der Mastspitze schrill durch den Wind. An den äußeren Enden der ausgestreckten Holzarme rotierten riesige Sicheln mit einem fürchterlichen Zischen und Kreischen.
Kestrel warf einen Blick ins Innere des Wagens und stellte fest, dass er von niemandem gelenkt wurde. Sie suchte nach einem Ruder oder einem Steuerrad, weil sie den Landsegler aus dem Wind lenken wollte, doch sie konnte nichts dergleichen entdecken. Das Gefährt war vollkommen außer Kontrolle – wenn Felsen oder Bäume vor ihm auftauchten, würde es zerschmettert werden – und sie alle mit ihm. Irgendwie musste sie das Tempo drosseln.
»Alles in Ordnung?«, rief Kestrel zu Bowman hinunter.
»Ja, ich glaube schon.«
»Hol Mumpo an Bord. Ich mache die Segel los.«
Bowman machte sofort kehrt und kletterte zu Mumpo hinunter. Mit Bowmans Hilfe gelang es Mumpo schließlich, sich aus den Maschen zu befreien und hinter ihm am Netz hinaufzuklettern. Im Innern des Wagens klammerten sie sich an die Masten, während der Landsegler holpernd weiterraste.
Kestrel fand heraus, wo das Hauptsegel befestigt war, und begann das Tau abzuwickeln. Ein plötzliches, heftiges Schlingern warf sie vom Wagen hinunter, doch sie konnte sich am Tau festhalten, wurde wieder zurückgeschleudert und prallte gegen den Holzrumpf des Landseglers. Sie hangelte sich wieder hinauf und konnte das Hauptsegel lösen. Eigentlich hatte sie erwartet, dass das ganze Segel davonfliegen und das Fahrzeug dadurch langsamer werden würde, doch das Segel löste sich nur auf einer Seite und der Wagen neigte sich. Ein paar dramatische Sekunden lang sauste der Landsegler auf zwei Rädern weiter, so dass die Sichel auf der einen Seite den Sand durchfurchte. Dann blieb die Sichel irgendwo stecken, der Wagen machte einen Satz, überschlug sich und vollführte in immer noch rasender Geschwindigkeit einen Salto nach dem anderen. Nacheinander zerbrachen die großen Sicheln, die Masten und die Räder, doch das stabile Fahrgestell, an das sich die Kinder klammerten, blieb heil. Als das lädierte Fahrzeug schließlich liegen blieb, stellten die Kinder atemlos fest, dass ihnen zwar alles wehtat, sie aber immerhin überlebt hatten und kein Knochen gebrochen war.
Sie lagen
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