Der Windsänger
schweigend da und spürten, wie ihre aufgeregt pochenden Herzen allmählich wieder gleichmäßiger schlugen. Der Sturm wütete noch immer, doch das Horn war verstummt und vom Landsegler war nur noch das Flattern von Segeltuch zu hören. Wieder einmal saßen die Kinder im Windschatten eines zerstörten Gefährts. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als zu warten, bis sich der Sturm legte.
Erschöpft fielen alle drei in einen unruhigen Schlaf, in dem sie noch immer in dem unbemannten Landsegler durch die Wüste zu rasen glaubten. Traum und Erinnerung an die Schrecken vergangener Stunden verschmolzen mit dem heulenden Wind und sie wälzten sich unruhig im Schlaf und wachten schließlich laut schreiend und ängstlich aneinander geklammert auf.
Als sie sich wieder gesammelt hatten, merkten sie, dass es um sie herum ganz still geworden war. Der Sturm hatte sich gelegt. Der Wind war zu einer schwachen Brise abgeflaut. Die Luft war klar, und als sie aus ihrem Versteck unter dem zerstörten Landsegler herauskrochen, war der Himmel strahlend blau. Seit sie die Salzhöhlen verlassen hatten, konnten sie nun zum ersten Mal weit in alle Richtungen blicken.
Sie befanden sich mitten in einer Einöde mit nichts als flachen Sanddünen. Im Norden erstreckte sich die Bergkette über den Horizont. Abgesehen davon gab es keine Orientierungspunkte für die Wanderer. Sie waren den Bergen näher, aber immer noch viele Tagesmärsche davon entfernt. Das Essen reichte vielleicht noch für einen Tag, wenn sie sparsam damit umgingen. Und dann?
»Wir gehen weiter«, entschied Kestrel. »Irgendetwas wird schon passieren.«
Die Sonne ging bereits unter, es hatte keinen Zweck, die Reise an diesem Tag noch fortzusetzen. Also holte Kestrel ihren Vorrat an Schlammnüssen heraus.
Wie sie geahnt hatte, verkündete Mumpo sofort, dass er hungrig sei.
»Wir hatten alle gleich viele, Mumpo.«
»Aber meine sind alle weg.«
»Tut mir Leid«, entgegnete sie, »aber von mir bekommst du keine.«
»Aber ich hab Hunger.«
»Daran hättest du früher denken sollen.«
Sie war entschlossen ihm eine Lektion zu erteilen und aß schweigend und unerweichlich ihre Schlammnüsse. Mumpo schaute sie wie ein trauriger treuer Hund an.
»Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen, Mumpo. Du hast deine gegessen und jetzt esse ich meine.«
»Aber ich hab Hunger.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, oder?«
Er fing an leise und schniefend zu weinen. Nach einer Weile zog Bowman eine von seinen Schlammnüssen aus dem Strumpf und gab sie ihm.
»Danke, Bo«, sagte Mumpo und sofort hellte sich seine Miene auf.
Kestrel sah ihm missmutig beim Essen zu. Ihr Bruder war so freundlich, dass sie sich über sich selbst ärgerte.
»Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen, Mumpo«, sagte sie.
»Ja, Kess.«
»Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, weißt du.«
»Nein, weiß ich nicht«, antwortete er nur. »Ich hab keine Ahnung, wohin wir gehen.«
Er hatte Recht: Sie hatten sich nie die Zeit genommen, es ihm zu erzählen. Bowman schämte sich plötzlich.
»Zeig ihm die Karte, Kess.«
Kestrel rollte die Karte auseinander und erklärte ihm die Reise, so gut sie konnte. Mumpo hörte zu und sah Kestrel
dabei in die Augen.
Dann fragte er: »Hast du Angst, Kess?«
»Ja.«
»Ich helfe euch. Ich hab keine Angst.«
»Wieso hast du keine Angst, Mumpo?«, wollte Bowman wissen.
»Wovor sollte ich Angst haben? Hier sind wir, die drei Freunde. Der Sturm ist vorbei. Wir haben zu Abend gegessen. Alles ist gut.«
»Machst du dir denn keine Sorgen darüber, was uns später zustoßen könnte?«
»Kann ich gar nicht. Ich weiß doch erst, was passiert, wenn es passiert.«
Bowman schaute Mumpo neugierig an. Vielleicht war er doch nicht so dumm. Vielleicht…
Er erstarrte. Kestrel spürte seine Angst sofort.
»Was ist, Bo?«
»Hörst du es denn nicht?«
Sie lauschte und hörte es: ein fernes Donnern. Alle drei richteten den Blick auf den Horizont.
»Irgendetwas kommt auf uns zu. Etwas sehr Großes.«
15 Gefangene von Ombaraka
Eine Fahne war zwischen den Dünen aufgetaucht und bewegte sich auf die Kinder zu. Eine rotweiße Fahne, die an einer hohen Fahnenstange im Wind flatterte. Worauf die Fahnenstange stand, konnten sie nicht erkennen – es war hinter Dünen verborgen. Doch sie bewegte sich in ihre Richtung.
Bald erkannten sie, dass es gar keine Fahnenstange war, sondern ein Mast, denn nun kam
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