Der Windsänger
darin.«
»Tatsächlich, ich bin ziemlich geschickt«, erwiderte der Wächter. »Ich muss sagen, du bist ein aufgeweckter kleiner Kerl. Für Chaka-Pack.«
Die Zwillinge verfolgten die Unterhaltung erstaunt. Die Stimme des Wächters klang überhaupt nicht mehr feindselig.
»Das Blau ist genau wie die Farbe Ihrer Augen«, bemerkte Mumpo.
»Ja, genau das hatte ich mir dabei gedacht«, gab der Wächter zu. »Die meisten Leute mögen Rottöne, aber mir gefallen die natürlichen Farben.«
»Schade, dass Sie mir nicht die Haare flechten können«, sagte Mumpo sehnsüchtig. »Ich würde so gerne aussehen wie Sie.«
Der Wächter schaute ihn nachdenklich an.
»Ich könnte es schon«, antwortete er schließlich. »Ich meine, da man euch sowieso hängen wird, würde es keinen großen Unterschied machen. Welche Farben hättest du gern?«
»Welche Farben haben Sie denn?«
»Alle. Alles, was du willst.«
»Dann möchte ich alle«, erklärte Mumpo.
»Das ist nicht besonders stilvoll, weißt du«, wandte der Wächter ein. »Aber es ist ja dein erstes Mal.«
Dann verließ er sie und verschloss die Tür.
»Also wirklich, Mumpo!«, sagte Kestrel. »Wie kannst du jetzt an deine Haare denken?«
»Woran soll ich denn sonst denken?«, fragte Mumpo zurück.
Der Wächter kehrte mit einem Kamm und einem Beutel voller aufgerollter bunter Fäden zurück. Er ließ sich im Schneidersitz auf dem Fußboden nieder und begann Mumpo die Haare zu flechten. Dabei wurde er immer freundlicher zu den Kindern. Der Mann hieß Salimba und war normalerweise Kuhhirte. Er erzählte, dass es in Ombaraka, der riesigen rollenden Stadt, in der die Barakas lebten, eine Herde von über tausend Kühen gebe, außerdem eine Ziegenherde und eine Herde langhörniger Schafe. Kestrel nutzte die Freundlichkeit des Wächters aus, um an wichtigere Informationen zu gelangen. Wer waren zum Beispiel die Chakas?
Salimba hielt ihre Frage für einen Trick. »Ha! So kriegst du mich nicht! Hier haben wir ein schönes, sattes Purpur. Deine Haare könnten mal gewaschen werden, weißt du.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Mumpo.
»Sind die Chakas Feinde der Barakas?«, versuchte es Kestrel weiter.
»Wie kannst du mich so etwas fragen? Feinde? Ihr Chakas habt uns seit Generationen gnadenlos niedergemetzelt! Glaubst du vielleicht, wir haben das Halbmondmassaker vergessen? Oder den Mord an Raka dem Vierten? Niemals! Kein Baraka wird ruhen, bevor nicht das ganze Chaka-Pack tot ist!«
Salimba regte sich so sehr auf, dass er einen Fehler beim Flechten machte. Fluchend flocht er den Zopf wieder auf und begann von neuem.
Kestrel stellte die gleiche Frage noch einmal, nur drückte sie sich diesmal diplomatischer aus. »Also wird Baraka am Ende siegen?«
»Natürlich«, antwortete Salimba. Jeder männliche Baraka über sechzehn, erklärte er, werde zum Wehrdienst einberufen und täglich einem militärischen Drill unterzogen. Er nickte in Richtung des Platzes vor dem Fenster, auf dem die Truppe gerade ihre Übungen beendet hatte. Sie alle hätten noch andere Aufgaben, erzählte Salimba, sie seien Segelsetzer, Zimmermänner oder Futtersammler, doch ihre erste Pflicht sei die Verteidigung von Ombaraka. Wenn die Schlachthörner ertönten, lasse jeder Mann alles stehen und liegen, schnalle sein Schwert um und melde sich auf dem ihm zugewiesenen Posten. Alle seien äußerst diensteifrig, denn ein echter Baraka lebte für den Tag, an dem Omchaka zerstört werden würde. Und dieser Tag werde sicher kommen, sagte er, so der Morah wolle.
Salimba brauchte über eine Stunde, um Mumpos Haar zu flechten, doch sein Werk wurde eine wahre Pracht. Mumpo war noch immer schmutzig, doch von den Augenbrauen aufwärts strahlte er. Sein Haar war so voll von hartem Schlamm, dass die Zöpfe wie Stachel von seinem Kopf abstanden. Salimba meinte, das sei nicht so üblich, habe aber einen gewissen Charme, und sein Blick verriet, dass er auf das Ergebnis ziemlich stolz war.
Leider gab es in der Gefängniszelle keinen Spiegel und Mumpo brannte darauf, seine neue Frisur zu sehen.
»Wie sieht es aus? Gefällt es dir, Kess? Magst du es?«
Kestrel wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte. Sie fand Mumpos Anblick faszinierend – er sah aus wie ein regenbogenfarbiges Stachelschwein. »Du siehst ganz anders aus«, stellte sie fest.
»Ist das gut?«
»Es ist nur – anders halt.«
Dann fiel Salimba ein, dass das Tablett eine blanke Unterseite hatte.
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