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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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töten, töten!« 
    Kestrel drehte sich weinend um und rannte um ihr Leben. 
    Als die Sarenkolonne das Himmelbett erreichte, teilte sie sich nach rechts und links auf. Ihre gezogenen Schwerter blitzten beim Marschieren auf, zerschlitzten die Apfelsine auf dem silbernen Teller, schnitten den dünnen Vorhang in Streifen und ließen Gazefetzen durch die Luft fliegen. Ein Fetzen landete in der Öllampe und fing Feuer. Sekunden später stand das ganze Bett in Flammen. Ungerührt marschierten die Saren weiter. Und auf brennende Kissen gestützt lag die alte Dame im Bett und betrachtete voller Stolz das vorbeiziehende Heer. 
    Kestrel rannte weinend durch die Hallen des Morah, die silberne Stimme in der Hand. Hinter ihr kamen die Saren und zerstörten alles, was ihnen den Weg versperrte. Die Gewänder im Ankleidezimmer, der Esstisch, der für Gäste gedeckt war, die nie kamen – alles fiel den blitzenden Schwertern zum Opfer und wurde dem Erdboden gleichgemacht. 
    0 mein geliebter Bruder, mein Ein und Alles! 
    Kestrel schrie vor Kummer, während sie immer weiterrannte, bis sie den Kamin vor sich sah, in dem das Feuer prasselte. Hinter sich hörte sie das Stampfen von zwei Millionen Füßen und den Gesang aus einer Million Kehlen. Keine Zeit zu zweifeln oder zu verstehen. Sie stürzte sich in den Kamin und… 
    Stille. Kühle lodernde Flammen. Blendendes Licht. Keuchend und zitternd zwang sie sich stehen zu bleiben. Die unheimliche Kälte des Feuers machte ihr den Kopf klar und ihr wurde bewusst, dass sie das hier eigentlich gar nicht tun wollte. Warum lief sie vor ihrem Zwillingsbruder davon? Sie konnte sich kein Leben ohne ihn vorstellen. Wenn er verwandelt war, würde sie sich auch verwandeln. 
    So nicht, dachte sie. Wir bleiben zusammen. 
    Sie drehte sich um und sah im gleißenden Licht ihren geliebten Bruder an der Spitze der Sarenarmee auf sich zuschreiten. Er bewegte sich langsam und die Musik schien weit weg zu sein, aber er sang noch immer leise, wie sie alle, ein lächelndes Wispern, das sich näherte. 
    »Töten, töten, töten, töten! Töten, töten, töten!« 
    Kestrel schaute auf, blickte ihm direkt in die Augen und breitete die Arme aus, so dass sein schwingendes Schwert ihre Brust treffen würde. 
    Mein Bruder – wir bleiben zusammen, sagte sie zu ihm. Und wenn du mich dafür töten musst. 
    Ihre Blicke trafen sich. Er lächelte noch immer, doch der Gesang erstarb auf seinen Lippen. 
    Ich werde dich nicht verlassen, sagte sie. Ich werde dich nie wieder verlassen. 
    Jetzt war er näher gekommen und noch immer schwang er sein Schwert. 
    Ich hab dich lieb, sagte sie. Mein geliebter Bruder. 
    Nun verschwand sein Lächeln und er schwang das Schwert langsamer. Inzwischen war er so nah an sie herangekommen, dass er die Tränen auf ihren Wangen sehen konnte. 
    Töte mich, mein Bruder. Lass uns zusammenbleiben. 
    Er schien verwirrt. Nun hatte er Kestrel erreicht – mit erhobenem Schwert. Der nächste Hieb würde sie aufschlitzen. Doch dazu kam es nicht. Bowman blieb stehen und verharrte so regungslos. 
    Das schöne Mädchen an der Spitze der Kapelle marschierte ohne den geringsten Seitenblick direkt an ihnen vorbei. Die ganze Kapelle schritt spielend und lächelnd auf die kalten Flammen zu. Bowmans Augen waren auf Kestrel gerichtet und sie merkte, wie ihr verlorener Bruder zu ihr zurückkehrte wie ein Taucher aus der Tiefe. 
    Kess, sagte er, als er sie erkannte. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. Er nahm Kess in die Arme und hielt sie fest, während die Armee der Saren singend an ihnen vorbeimarschierte. O Kess… 
    Er zitterte und weinte. Sie küsste ihn auf die nassen Wangen. 
    Na, also, sagte sie. Du bist zurückgekommen. 

21 Der Marsch der Saren 
    Bowman nahm seine Schwester an die Hand und rannte mit ihr durch die kühlen, grellen Flammen. Jetzt hatten sie keine Zeit, um über das Geschehene zu reden. Sie überholten das Mädchen mit dem wirbelnden Stab, die immer noch nicht auf sie achtete. Das Feuer schien die Zeit anzuhalten. Dann waren sie plötzlich auf der anderen Seite des Feuers angekommen: Waldbedeckte Berge ragten auf, der Wind wehte ihnen ins Gesicht, die breite Allee des Großen Weges war vor ihnen und über ihnen dunkle Wolken. 
    Nein, keine Wolken – Kestrel blickte auf und entdeckte die Adler, die zu Hunderten über den Bäumen kreisten und den Himmel verdunkelten. Sie zog Bowman vom Weg in den Schutz der Bäume. 
    »Sie wollen angreifen!« 
    Die riesigen Adler

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