Der Windsänger
davor bewahren werden, aber das kann ich nicht. Wir sind nicht so stark wie sie.«
Kestrel schaute ihren Bruder an und hörte ihm verwundert zu. Er klang älter, trauriger, selbstsicherer. Auch Mumpo, so stellte sie jetzt fest, hatte sich durch all das verändert, was ihm zugestoßen war. Er war etwas verwirrt, aber nicht mehr so einfältig.
»Ihr wart meine ersten Freunde«, antwortete er nur. »Ich werde euch niemals verlassen.«
Die Zwillinge schlossen ihn beide zugleich in die Arme. Es blieb gerade noch Zeit für eine kurze freundschaftliche Umarmung, bevor sie die weißen Uniformen zwischen den Bäumen aufblitzen sahen. Die Saren waren ihnen nicht nur gefolgt, sie hatten sie umzingelt. Mehr als ein Dutzend von ihnen rückten von allen Seiten an sie heran.
»Los, klettern!«, rief Kestrel.
Sie sprang auf einen Ast über ihr und begann zu klettern. Bowman und Mumpo folgten ihr. Immer höher kletterten sie, bis in die Krone des Baumes. Von hier aus konnten sie den Großen Weg und den noch immer tobenden Kampf sehen. Die Adler waren weniger geworden und die Wölfe waren fast alle erschöpft. Auf einem Felsen stand der graue Rudelälteste und sandte die letzten Reihen der Wölfe mit einem lang gezogenen Heulen in die Schlacht.
Von ihrem Baum aus sahen die Kinder hilflos zu, wie die Wölfe angriffen. Die wenigen Wölfe, die noch übrig waren, warteten groß und stolz zwischen den Bäumen, bis sie an der Reihe waren, und als der Befehl kam, wussten sie, dass auch sie den scharfen Klingen der gnadenlosen Schwerter zum Opfer fallen würden. Trotzdem stürzten sie sich mit einem kehligen Schlachtruf in den Kampf, um so viele Saren wie möglich zu Fall zu bringen, bevor sie selbst ihr Leben ließen. Kein natürlicher Feind hätte der Stärke und Grausamkeit der Wölfe widerstehen können. Doch die Saren waren zahllos, und ganz gleich, wie viele von ihnen fielen, es kamen immer neue nach.
»Aufhören!«, schrie Kestrel voller Mitleid und Entsetzen.
»Aufhören! Das ist doch sinnlos!«
Doch selbst wenn der alte Wolf sie hörte, schenkte er ihr keine Beachtung. Er schüttelte seine zottige Mähne, stieß einen wilden Ruf aus und die letzte Reihe der Wölfe stürzte sich in den Kampf. Während er zusehen musste, wie einer nach dem anderen umkam und der Stolz des Waldes niedergestreckt wurde, sprach er sich Trost zu.
Endlich treten wir dem alten Feind entgegen. Was bleibt uns anderes übrig als zu sterben?
Dann reckte er sein altes Haupt in die Höhe, heulte seinen eigenen Schlachtruf, seinen Todesruf, nahm all seine restliche Kraft zusammen und warf sich ins Getümmel. Mit reißenden, mörderischen Zähnen schleuderte er den ersten Saren zu Boden, dann einen zweiten und stürzte sich auf einen dritten. Da sah er die Klinge aufblitzen, bevor das Schwert seine Schulter und dann sein Herz durchbohrte.
Und noch immer marschierten die Saren singend voran. Hinter sich ließen sie ein schauerliches Durcheinander von Leichen, während aus der Luft noch immer riesige Adler auf sie herabstießen. Doch das Heer schritt fröhlich und in vollständigen Reihen voran. Nur die Blutflecken auf den wehenden weißen Umhängen deuteten auf Verluste hin.
Unterdessen hatten die Verfolger der Kinder den Baum umstellt. Wie im Spiel warfen sie lachend ihre Kappen und Umhänge fort und fingen an zu klettern.
Die Saren erwiesen sich als erstaunlich behände und schienen sich direkt am dicken Stamm festhalten zu können. Bald hatte ihr Anführer, ein Junge mit einem heiteren Gesicht, der nicht älter als dreizehn sein konnte, die höheren Äste erreicht. Er schaute zu Mumpo und den Zwillingen hinauf.
»Hallo!«, rief er ihnen freundlich zu. »Ich werde euch töten!«
Als er weiterkletterte, summte er die Melodie des Marschliedes vor sich hin. »Töten, töten, töten, töten! Töten, töten, töten!«
Hinter ihm folgte ein bezauberndes aschblondes Mädchen, das ihn schnell einholte.
»Lass mir einen übrig!«, rief sie ihrem Kameraden zu. »Du weißt doch, wie gern ich töte!«
Die Kinder krochen auf ihrem Ast weiter. Hier konnte sie immer nur ein Sar zur Zeit angreifen. Kestrel schaute nach unten. Zu hoch zum Springen. Bowman schaute nach oben, denn er wusste, dass es jetzt nur noch einen Fluchtweg gab. Er stieß einen langen Schrei aus und sie hörten ihn und sausten durch die Luft zu ihnen hinüber – die riesigen Adler.
Inzwischen hatte der erste Sar die Äste unter den Kindern erreicht und
Weitere Kostenlose Bücher