Der Windsänger
sie beobachteten, wie er sich flink auf ihren Ast hinaufzog.
»Geht ganz schnell, was?«, sagte er lächelnd. Und zog sein langes Schwert.
»Lass mir einen übrig«, rief das Mädchen unter ihm. »Ich will das Mädchen.«
»Das Mädchen will ich selbst«, entgegnete der junge Sar und kletterte auf den Ast der Kinder. »Ich hab noch nie ein Mädchen getötet.«
Ein dunkler Schatten, ein heftiger Luftzug, und plötzlich wurde er von den Klauen eines Adlers gepackt und in die Luft gerissen. Bevor die Kinder richtig begriffen, was geschehen war, schwebten drei Adler über ihnen. Da wussten sie, was sie zu tun hatten. Bowman streckte die Hände in die Luft.
»Hände hoch!«
Mumpo machte es Bowman nach. Ein Adler umfasste mit seinen gewaltigen Klauen vorsichtig Mumpos Handgelenke und trug ihn auf und davon. Dann war Bowman an der Reihe. Kestrel zögerte und beobachtete das Sarenmädchen, das sich ihr mit gezogenem Schwert näherte. Als sie den Adler kommen sah, hob sie ebenfalls die Arme. Doch in diesem Moment stieß das Mädchen mit dem Schwert zu, der Adler musste ausweichen und Kestrel in die Tiefe springen. Mit ausgestreckten Armen fiel sie und der Adler sauste ihr mit rauschenden Flügeln nach. Sie spürte ihn über sich, seine Klauen schlossen sich um ihre Handgelenke – und ihr Fall wurde gebremst.
Mit kräftigen Flügelschlägen wurden die Kinder von den Adlern über die marschierenden Reihen der Saren hinweggetragen. Als Kestrel den Wind im Gesicht spürte und die großen Flügel sie vor der Sonne schützten, wagte sie wieder zu hoffen. Sie schaute zurück und nach unten. Die Saren wirkten klein aus dieser Entfernung, doch das Ende des Heerzuges war noch immer nicht in Sicht. Ihr Adler hatte Schwierigkeiten, die Höhe zu halten. Vor sich sah sie, dass Bowmans Adler bereits langsamer flog und immer tiefer sank. Trotz ihrer Größe und Stärke konnten sie die Kinder nicht weiter tragen, sie waren zu schwer. Und was nun? Wenn die Adler sie absetzten, hätten die Saren sie bald eingeholt.
Sie schaute zurück, um abzuschätzen, wie viel Vorsprung sie hatten, und bemerkte drei Adler, die hinter ihnen herflogen. Kestrel beobachtete, wie sie aufholten und sich in Position begaben.
Es ging alles so schnell, dass keine Zeit zum Angst haben blieb. In einem Moment merkte sie, dass ein Adler unter ihr vorbeiflog. Im nächsten spürte sie schon, wie sich die Klauen an ihren Handgelenken öffneten, und sie fiel wie ein Stein hinunter. Kaum einen Augenblick später hatte der Adler unter ihr ihre Handgelenke mit seinen Krallen umschlossen. Ein Flügelschlag, und sie war wieder hoch über den Bäumen.
Sie drehte sich um und sah zu, wie das gleiche Manöver mit Mumpo stattfand. Er geriet in Panik, als der Adler ihn losließ, und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Doch der Adler, der auf ihn wartete, konnte ihn trotzdem an den Handgelenken packen und weiterfliegen.
Neben ihr hing Bowman bereits an seinem zweiten Adler. Kestrel sah in der Ferne das Heer der Saren, das im Gleichschritt den Großen Weg entlangmarschierte und von den wenigen Adlern attackiert wurde, die noch für diesen aussichtslosen Kampf übrig geblieben waren. Als sie sich wieder umdrehte, lag die zerklüftete Schlucht mit dem Namen Riss-im-Land vor ihr, mit den hohen Bögen der Brückenruine – der einzige Weg, der zur anderen Seite hinüberführte. Wenn diese drei Adler müde wurden, gab es keine anderen mehr, die sie tragen konnten, und der Weg nach Aramanth war noch immer weit. Kestrel wusste, dass sie nur eine Chance hatten.
»Bo!«, rief sie. »Wir müssen die Brücke zerstören!«
Bowman hatte ebenfalls nach vorn geschaut und er begriff, worauf seine Schwester hinauswollte. Er zupfte seinen Adler an den Beinen und der riesige Vogel setzte zur Landung an.
Sie landeten auf der Südseite der Schlucht in der Nähe der Säulen, die den Anfang der Brücke markierten. Sobald die Kinder sicher abgesetzt worden waren, flogen die Adler in die Schlacht zurück, so als wäre es ganz selbstverständlich, dass alle sterben müssten, bevor der Kampf vorbei war.
In aller Eile fing Bowman an Steine zu sammeln.
»Wir lösen eine Lawine aus«, erklärte er, »und lassen die Brücke einstürzen.«
Er ließ die Steine den Abhang hinunterrollen und trat an den Rand der Schlucht, um herauszufinden, wo sie landeten. Als schließlich einer der Steine in der Tiefe gegen den Sockel des brüchigsten Stützpfeilers prallte,
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