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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Weidenholzer
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antwortet Maria, morgen fahre ich nach Hause, aber das ist noch eine Weile hin. Möchtest du einen Schneemann bauen, ich habe zwei Augen, eine Nase und einen Mund eingesteckt, einen Ast für die Arme finden wir bestimmt.
    Wo seid ihr so lange gewesen, fragt die Schwester, als Maria die Haustür aufmacht, ich wollte euch schon suchen kommen, zieht euch um, Maria, hilfst du der Kleinen, ich habe das Kleid schon bereitgelegt. Die Schwester streicht ihrer Tochter über den Kopf, jetzt kommt das Christkind, geh in dein Zimmer, Maria ist gleich bei dir. Ich finde die Glocke nicht, sagt die Schwester, als das Kind die Treppe zu seinem Zimmer hinaufläuft, wie soll das Christkind ohne Glocke kommen. Ich habe sie, sagt Manfred, als er aus dem Keller kommt, sie war dort, wo sie immer ist. Gut, sagt die Schwester, es geht gleich los.
    Am Heiligen Abend verschwindet die Schwester vor der Bescherung im Schlafzimmer, sie zieht ein dunkelrotes Kleid an, das Weihnachtskleid, sie schminkt sich, sie schreit: Manfred, so können wir keine Bescherung machen, zieh dich um, woraufhin Manfred ins Schlafzimmer verschwindet, ein Hemd anzieht und eine Krawatte umbindet. Die Krawatte hat Manfred bereits vorgebunden, er muss nur den Knoten fest nach oben ziehen. Wenn Herr Willert wüsste, denkt Maria dann. Manfred bekommt von Maria keine Krawatten geschenkt; weil es schade darum wäre, denkt sie.
    Wenn sie dann vor dem Christbaum stehen und singen, faltet Maria die Hände, warum, das weiß sie nicht. Sie schaut auf die Christbaumkerzen, die brennen, sie schaut auf das Kind, das singt, und wartet auf den Moment, wenn das Singen vorüber ist und alle sich räuspern. Die Familie singt nur einmal im Jahr gemeinsam, Manfred singt leise mit, ganz leise, manchmal bewegt er nur die Lippen, was auffällt und die Schwester aufblicken und böse schauen lässt. Die Geschenke liegen einstweilen vor ihnen, ungeöffnet, und Maria überlegt, welches sie zuerst aufmachen wird. Der Stapel des Kindes wächst von Jahr zu Jahr, das Kind packt zuerst das größte Geschenk aus und arbeitet sich dann durch. Vorsichtig, sagt die Schwester, wir wollen das Papier auch nächstes Jahr verwenden, leg es dort hin. Wenn die Geschenke ausgepackt sind und die Kerzen gelöscht, wird das Essen aufgetragen. Manfred nimmt Platz, daneben die Schwester, gegenüber das Kind, Maria sitzt neben dem Kind, das Kind hat die ihm liebsten Geschenke bei sich liegen. Räum die Geschenke weg, wir essen jetzt, sagt die Mutter. Man muss klare Regeln aufstellen, sagt Manfred, heute ist Weihnachten, sagt die Schwester. Zu Weihnachten trinken Maria, die Schwester und Manfred Rotwein, später Schnaps, das Kind trinkt Coca-Cola. Der Christbaum steht in einer Ecke des Wohnzimmers, es ist ein kleiner lichter Baum auf einem Tisch, der Tisch ist mit einem weißen Leintuch abgedeckt. Die Christbaumkugeln sind rot, dazwischen hängen Strohsterne, auch ein Engel und Schokolade, die Schokolade hält nicht lange. Gegen einundzwanzig Uhr setzt sich Manfred mit einem Glas Wein auf das Sofa und schaut seine Geschenke an. Er würde gern fernsehen, aber das ist Weihnachten verboten. Vorher sagt Manfred: Maria, hast du immer noch nichts gefunden, so schwierig kann das doch nicht sein. Marias Schwester stößt ihren Mann in die Seite, er verschüttet Rotwein, er sagt lauter: Du darfst nicht empfindlich sein, du musst dich der Realität stellen. Das kann doch nicht sein, wie lange suchst du jetzt schon. Wer bezahlt das denn, wir bezahlen das, und wenn wir immer nur bezahlen, wird es irgendwann zu Weihnachten für unsere Kinder keine Geschenke mehr geben. Keine Geschenke, fragt das Kind, das am Boden spielt. Nein, du bekommst immer Geschenke, sagt die Mutter, und dann: Manfred, hast du dein Geschenk schon aufgemacht. Schau, dort hinten liegt es. Maria, hilfst du mir bitte. Sie tragen das Geschirr in die Küche, die Schwester sagt: Sei nicht so empfindlich.
    Am Küchentisch stehen die Kekse, die Platte ist umwickelt mit Frischhaltefolie. Maria reißt die Folie auf und trägt die Kekse hinaus, Herzen, Sterne und Tannenbäume. Möchtest du welche, sagt sie zu Manfred. Nein danke, ich habe genug gegessen, antwortet er. Ich stell sie trotzdem hier ab, sagt Maria und isst einen Stern. Wir haben doch schon genug gegessen, sagt Manfred, ich kann nicht mehr.
    Das Kind atmet tief, als Maria vorsichtig die Tür öffnet. Im Kinderzimmer steht das Gästebett, es quietscht, wenn Maria sich hinlegt, es ist eines dieser aufklappbaren

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