Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
Sekt schäumt, als Maria ihn eingießt, sie gießt zu viel ein und muss schnell hinuntertrinken. Es ist noch Sekt übriggeblieben, Maria steckt einen Löffel in die Flasche und stellt sie zurück in den Kühlschrank. Sie sieht Ottos Schachtel, sie sieht die Zweige darauf und den Strohstern, sie sagt: Die Heiligen Drei Könige sind vorbei, und nimmt die Weihnachtsdekoration ab. Dann schließt sie den Kühlschrank wieder, geht hinüber ins Wohnzimmer, sie macht Musik an. Sie hört:
Mit sechzehn sagte ich still, ich will, will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen, mit sechzehn sagte ich still, ich will, will alles oder nichts
. Sie singt:
Für mich soll’s rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Das Glück sollte sich sanft verhalten, es sollte mein Schicksal mit Liebe verwalten
. Maria stellt das Glas ab, bewegt die Arme, dreht sich im Kreis, so lange bis das Lied zu Ende ist. Danach ist ihr schwindlig. Sie setzt sich und trinkt ihr Glas aus. Mit den Händen trinken nur die Menschen, denkt Maria, und wie wäre es, wenn mir die Hände fehlten, wie wäre es, mit der Zunge zu trinken. Es wäre schwierig, denkt sie und klemmt das Glas zwischen ihre Zähne. Sie denkt, Geburtstage muss man feiern, wie sie fallen, und legt den Kopf nach hinten. Am nächsten Tag wird sie Kopfschmerzen haben.
38 Funkenschläge
Wenn der Wind geht, fliegen die Vögel schnell, wenn der Wind über Wiesen streicht und dabei Muster legt. Im Winter weht der Wind den Schnee davon, das Eis bleibt liegen, darunter das Gras, darunter die Erde. Was ist unter der Erde, fragt das Kind an Marias Hand. Der Erdkern, antwortet Maria. Ist der Erdkern wie ein Apfelkern, fragt das Kind, wachsen aus dem Erdkern neue Erden. Ich weiß es nicht, sagt Maria, der Erdkern ist sehr heiß und er ist weit entfernt.
Kannst du mit dem Kind spazieren gehen, fragt Marias kleine Schwester einmal im Jahr, und Maria zieht ihre Schuhe an, weil die Frage keine Frage ist. Sie streift den Mantel über, sie wickelt den Schal um den Hals, sie hilft dem Kind in die Stiefel. Wenn Maria das Kind an der Hand mit nach draußen nimmt, Handschuh in Handschuh, wenn sie für das Kind in den Himmel deutet, wenn sie sagt: Siehst du es kommen, dort hinter der Wolke, schließt Marias kleine Schwester im Haus die Wohnzimmertür. Sie schmückt den Christbaum, sie legt Geschenke aus, sie deckt den Tisch. An den Fenstern hängen Strohsterne, die von rotem Garn zusammengehalten werden, Engel stehen neben dem Fernseher, die Krippe ist mit Moos bedeckt. Die Wohnzimmertür wird verschlossen sein, wenn Maria mit dem Kind nach Hause kommt, sie wird es bis zum Abend bleiben, bis die Schwester mit der goldenen Glocke läutet, und die Christbaumkerzen werden brennen, wenn Maria die Tür öffnet, und die Geschenke nach Namen sortiert auf Stapeln liegen. Der größte Stapel wird dem Kind gehören. Du machst keine Umstände, wird die Schwester im Laufe des Abends mehrere Male sagen, weil Maria zuvor gesagt hat: Ich möchte keine Umstände machen, ich möchte das nicht, es ist mir unangenehm.
Zu Weihnachten isst die Familie Bratwürste. Weihnachten ist das schrecklichste Fest im Jahr, sagt Maria, wenn ihre kleine Schwester Mitte November am Telefon fragt: Du kommst doch wieder zu uns. Maria, hörst du mich, du kommst doch. Manfred freut sich, das Kind freut sich. Was wäre Weihnachten ohne dich. Maria atmet dann ins Telefon, sie sagt eine Weile nichts. Du brauchst gar nicht zu überlegen, was machst du sonst. Ich könnte zu Hause einen gemütlichen Abend verbringen, denkt Maria dann, ich könnte im Bett liegen, ich würde ein paar Gläser Wein trinken, ich könnte fernsehen. Weißt du, ich überlege noch, sagt Maria ins Telefon, vielen Dank für die Einladung. Du brauchst nicht zu überlegen, Weihnachten feiert man nicht alleine, sagt die Schwester, du kommst zu uns. Wir holen dich vom Bahnhof ab, ich hoffe, du schaffst es dieses Jahr schon früher. Das Kind wünscht sich eine Blockflöte. Bitte bring keine Kekse, ich werde genug gebacken haben.
Am Bahnhof steht dann Manfred, er sagt: Sie muss noch Kekse backen. Er nimmt Maria die Tasche ab, sie umarmen einander kurz, Maria streicht über seinen Rücken, während Manfred auf Marias Rücken klopft. Vorsichtig, sagt Maria, du weißt, die Bandscheiben. Entschuldige, sagt Manfred. Der Bahnhof ist klein, der Zug hält auf dem zweiten Gleis, die Fahrgäste müssen das erste Gleis überqueren, um auf den Bahnsteig zu gelangen. Es
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