Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
Verwandten mit dem Zug besuchen. Die neuen Nachbarn sind fürchterlich, sie werden mich ins Grab bringen. Man zieht etwas an, wenn man in der Wohnung sitzt, und man schließt die Vorhänge beim Geschlechtsverkehr. Isolde schenkt Wein nach. Der Mann wird diese Frau nicht lange haben, das sehe ich über die Straße, solche Frauen sind nicht für die Ewigkeit. Isolde trinkt einen Schluck, sie sagt: Es ist wie mit der Frau aus dem zweiten Stock, ich habe ihren Namen vergessen. Ihr Mann ist sehr krank, er hat im einschlägigen Gewerbe als Türsteher gearbeitet, dort dürfte er sie kennengelernt haben, hat Frau Bauer erzählt. Die Frau aus dem zweiten Stock hat ein Kind und einen kleinen Hund, ich vermute, dass sie als Prostituierte tätig ist. Walter fragt nach Schnaps, aber Isolde hört ihn nicht. Sie sagt: Der Mann ist sehr krank, vor kurzem hat ihn die Rettung nach Hause gebracht, sie haben an der Tür geläutet, ich weiß nicht, warum er keinen Schlüssel bei sich hatte. Das geht jetzt nicht, sagte die Frau. Sie sagte: Das geht jetzt nicht, sie ließ ihn nicht in die Wohnung. Und dann, fragt Walter. Was du alles wissen möchtest, sagt Isolde, die Häuser haben Wände und keine Ohren, ich hole Schnaps. Ich trinke Wasser, sagt Maria und greift nach der Mineralwasserflasche. Isolde schüttelt den Kopf, Mariechen, ich bringe dir Likör. Mariechen wird Maria von Isolde genannt, wenn Isolde gut gelaunt ist. Gut gelaunt ist Isolde, wenn das Wetter angenehm ist, aber so einfach lässt sich Isoldes Laune nicht erklären, sagte Maria zu Walter einmal, als sie schnell die Tür schloss, weil sie Isolde die Wohnungstür aufsperren hörte. Gut gelaunt ist Isolde, wenn ihre Haare richtig sitzen, wenn sie etwas Schönes erlebt hat, wenn das Wetter stimmt, wenn ihre Verwandten auf Besuch kommen. Ich erkenne es an ihren Augen, sagte Maria zu Walter. Ich merke keinen Unterschied, sagte Walter etwas zu laut, was du alles in den Augen siehst.
Mariechen, möchtest du Himbeer- oder Nusslikör, fragt Isolde, sie stützt sich am Türrahmen ab. Du weißt doch, sagt Maria, ich trinke keinen Likör. Ich weiß, sagt Isolde, aber bevor du beginnst, Wasser zu trinken.
Trink langsamer, sagt Maria zu Walter, als Isolde den Schnaps aus dem Kinderzimmer holt, dein rechtes Auge wird klein. Dein Trinkerauge, flüstert Maria. Walter streicht über sein Auge, er sagt: Sei ruhig, und nimmt ihre Hand von seinem Oberschenkel. Walters Augen sind braun und Marias Augen grün, schlammfarben wären sie, würde man sie zusammenmischen. Maria richtet ihren Rücken auf, sie legt ihren Kopf auf die linke Seite, Walter abgewandt. Greift, wie kalt die Gläser sind, sagt Isolde, als sie zurückkommt, den Schrank öffnet und die Schnapsgläser hervorholt. Isoldes Schnapsgläser sehen aus wie kleine Biergläser. Die hat mir mein Sohn geschenkt, seid froh, dass ihr keine Kinder habt. Walter sagt: So kleine Schnapsgläser, da kommt man nicht weit. Isolde sagt: Seid froh, oder möchtet ihr Kinder, es ginge noch, und Isolde sieht Maria an, bis Maria den Kopf senkt, auf das Tischtuch schaut, einen Fleck entdeckt. Sie sagt: Walter kann nichts essen, ohne Flecken zu hinterlassen. Walter sagt: Der ist auf deiner Seite. Maria stellt ein Glas darüber: Ich habe keine Eier gegessen. Isolde sagt: Es macht nichts, ich muss ohnehin waschen, ich habe eine Waschmaschine. Mit einer Waschmaschine ist das Waschen ein Kinderspiel, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie das früher war. Doch, sagen Walter und Maria, doch, das kennen wir noch. Zum Wohl, sagt Isolde und hebt das Glas, auf euch. Nein, sagt Maria, auf dich und die Tage, die kommen, auf die Tage, Wochen, Monate und Jahre. Auf die Welt, sagt Walter, trinken wir auf die Welt, oder das Leben. Fängst du schon wieder damit an, sagt Isolde, hör mir mit dem Leben auf.
12 Auf der Bühne
Maria wechselt den Sender, immer nur Eiskunstlauf, denkt sie, als eine Läuferin zum Sprung ansetzt. Auf dem anderen Sender singen zwei ein Lied, der Sänger gibt der Sängerin die Hand. Sie reichen einander die Hände, denkt Maria, reich mir deine Hand, und ich reich dir mein Herz. Maria zieht die Decke über ihre Brust, sie legt die Füße auf den Tisch, sie verschränkt die Arme vor dem Bauch. Der Bühnenboden ist von Rauch bedeckt, Streicher setzen ein, die Sängerin singt, und sie blickt dem Sänger so lange in die Augen, bis auch er zu singen beginnt. Maria richtet sich auf, sie sucht die Fernbedienung, sie schaltet lauter, die Taste ist schon
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