Der Winterpalast
Es war eisig kalt und ich fühlte die Angst wie einen Kloß im Hals.
Ich machte mich ganz klein und wartete.
Es dämmerte schon, als eine silberblonde Frau auftauchte. Ihr Kleid war aus schwerem Stoff und offenbar warm, denn eine Wolke von Schweißgeruch wehte mir in die Nase. Sie warf mir einen gereizten Blick zu und verscheuchte die Katze. Nichts als Ärger hat man mit diesen Tieren, klagte sie, Dreck an den Türen, verschmierte Fensterscheiben, Haare auf den Sofas. Ihr deutscher Akzent verlieh ihren Worten etwas Scharfes, Feindseliges.
»Ich bin Warwara Nikolajewna«, wagte ich zu sagen. »Die Kaiserin hat mich herbestellt.«
Die dunklen Augenbrauen der Frau zogen sich zusammen. »Ich weiß, wer du bist«, fauchte sie mit einem verächtlichen Lächeln. Sie hatte ein Schildkrötengesicht, viel zu klein im Verhältnis zu dem massigen Körper. Später sollte ich erfahren, wer sie war: Madame Kluge, die erste Kammerfrau.
»Komm mit«, befahl sie, und ich folgte ihr, mein Bündel im Arm. Die Dielen unter meinen Füßen waren abgetreten, in den Wandvertäfelungen klafften Risse, in den Ecken sammelten sich Staubflusen. Ich kam mir vor wie eine Fliege, die noch ein paar Schrittchen machen darf, bevor die Klatsche auf sie niedersaust.
Wir hatten nicht weit zu gehen. In der Küche bekam ich einen Teller dünne Suppe und eine Blechtasse Kwass. Ich musste mich mit dem Essen beeilen, denn Madame Kluge hatte es eilig. Ich schwieg, denn ganz offensichtlich interessierte es Madame Kluge nicht, was ich zu sagen hatte. Als ich fertig war, führte sie mich zu meiner Unterkunft im Dienstbotentrakt, die ich mit sechzehn anderen Mädchen teilen sollte. Es roch nach Nachttöpfen und Schimmel. Mäuse huschten unter den Betten umher, versteckten sich in
den Schuhen, die dort standen. Die Katzen der Kaiserin, sagte man mir, waren zu gut genährt, um zu jagen.
»Morgen Vormittag hole ich dich ab. Ich erwarte, dass du bereit bist«, sagte Madame Kluge und ging fort.
Ich setzte mich auf das einzige leere Bett im Raum. Es war hart und schmal. Ich küsste das Medaillon mit dem Bild der Jungfrau, das meine Mutter mir geschenkt hatte. Die anderen Mädchen warfen mir neugierige Blicke zu, aber dann bekreuzigte ich mich, und da sahen sie, dass ich eine Ausländerin war, und behandelten mich von da an wie Luft.
Ich schlief schlecht, immer die Geräusche um mich herum im Ohr, das Zähneknirschen und Stöhnen, das Fauchen des Windes, der gegen die überfrorenen Fensterscheiben schlug. Es war eisig kalt. Einmal fuhr ich in panischem Schrecken hoch, weil ich eine tastende Hand fühlte, die sich unter meine Bettdecke gestohlen hatte. Mit wild klopfendem Herzen saß ich eine Weile da und starrte ins Dunkel, aber die anderen schienen alle tief und fest zu schlafen. Das Mädchen neben mir ächzte leise.
Als ich endlich wieder einschlief, kam meine Mutter zu mir und strich mit etwas Warmem und Feuchtem über meine Hand. »Gehen wir, Basieńka, die Kaiserin erwartet dich«, sagte sie, und ich folgte ihrer gespenstisch schimmernden Gestalt durchs Dunkel.
Am Morgen, als ich mich unbeobachtet glaubte, versteckte ich mein Geld unter einer losen Bodendiele neben meinem Bett. Als ich am Abend wieder nachschaute, fand ich in dem Versteck nur noch den Lappen vor, in dem die Münzen eingewickelt gewesen waren; mein Erbe war gestohlen.
Wie angekündigt erschien Madame Kluge am Vormittag. Sie hatte eine Beschäftigung für mich gefunden, in der Kleiderkammer. Meine Mutter hatte mir doch wohl zumindest das Nähen beigebracht, hoffte sie.
Sie wartete nicht auf eine Antwort.
Ich ging hinter ihr her, während sie ohne Unterlass vor sich hin schimpfte. Sie wisse schon, mit wem sie es zu tun habe: streunende Katzen, die den ganzen lieben Tag lang nur Sahne schlecken wollten. Die Leute setzten jede Menge Kinder in die Welt und überließen es den anderen, sich um die Bälger zu kümmern. Überall Schmarotzer, die auf das gute Herz der Kaiserin spekulierten. Die Sorte glaubt, das Geld wächst auf den Bäumen und man braucht nur den Mund aufzusperren, dann kommen die gebratenen Tauben angeflogen.
In der Nähstube wies mir Madame Kluge Arbeit an. »Mach dich nützlich. Ich will keine Klagen über dich hören.«
Meine Stickkünste fanden keine Gnade. Meine Stiche sahen unordentlich aus, und ich verwechselte die Farben. Meine Mutter hatte mich schlecht erzogen, bekam ich zu hören. Dann musste ich Knöpfe sortieren und annähen, aber ich tat mich schon beim
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