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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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über meinen Vater: … ein wahrhaft begnadeter Künstler und ein Mann, der immer an die große russische Seele geglaubt hat.
    »Große Reden schwingen, das ist deine Stärke, nicht?« Sie verzog verächtlich das Gesicht, dann zerriss sie das Blatt in kleine Fetzen.
    Ich sagte nichts.
    »Abschaum bist du und wirst du immer bleiben«, zischte sie. Wenn ich so weitermachte, würde ich auf der Straße landen und dort Pferdeäpfel einsammeln. »Was dein Vater, dieser berühmte Künstler, jetzt auch tun müsste, wenn er sich nicht so frühzeitig aus der Welt davongemacht hätte.«
    Ich schaffte es nicht, den blanken Hass in meinen Augen zu verbergen.
    Madame Kluge zog ihre Reitpeitsche hervor und hieb sie mir auf die Schienbeine, und dann noch einmal. Ein sengender Schmerz durchfuhr mich. Ich sah die Striemen auf der Haut, zuerst weiß, dann rot.
    Ich biss die Zähne zusammen und schwor mir, nie wieder zu weinen.
     
    Ich schlief schlecht in den folgenden Wochen. Lange vor der Dämmerung wachte ich auf und fand keine Ruhe mehr. Dann schlich ich mich aus dem eisig kalten Schlafsaal und streunte durch die Korridore wie eine der Palastkatzen. Die Kaiserin, so hatte ich gehört, schlief wenig. Vielleicht hatte ich ja Glück, und sie oder der Großfürst lief mir auf einem meiner nächtlichen Streifzüge über den Weg? Er hatte an dem Mohren, den seine Tante ihm geschenkt hatte, Gefallen gefunden und ihn zu seinem Adjutanten gemacht. Konnte ich nicht genauso gut sein Interesse erregen? Ich brauchte ja nichts weiter als eine Chance, mich der Kaiserin in Erinnerung zu bringen.
    Zuerst schlich ich mich, angelockt von den Gerüchen ausgesuchter Delikatessen, die wir Dienstboten nie zu kosten bekamen, in die Palastküche, aber in den Vorratsräumen lagen immer nur Unmengen von billigen Talgkerzen offen in den Regalen, die Lebensmittel waren alle weggesperrt. Manchmal wurde ich von Palastwachen angehalten, die mich fragten, wo ich hinwollte oder herkäme, und dann sah ich ihnen selbstsicher in die Augen und gab ihnen eine schnippische Antwort, zum Beispiel, dass sie doch wohl nicht im Ernst von mir erwarteten, ich würde die Geheimnisse meiner Herrin ausplaudern. Einige von den Jüngeren nutzten die Gelegenheit zu dem Versuch, einen Kuss von mir zu erhaschen, aber ich schlüpfte flink an ihnen vorbei, und ihre grabschenden Hände griffen ins Leere.
    Der Kaiserin begegnete ich nie, dafür entdeckte ich Säle, wo die Tische mit Tüchern abgedeckt waren und wo Schränke voller merkwürdig aussehender Musikinstrumente standen, Räume, vollgestellt mit ausgemusterten Möbeln und Bildern. In einer dieser Rumpelkammern fand ich eine Kiste mit alten Büchern.
    Ich nahm sie eines nach dem anderen heraus, wischte den Staub ab und blätterte sie durch. Es waren meistens wissenschaftliche Werke, über Astronomie und Medizin, Bücher mit Abbildungen fremdartiger Gerätschaften und exotischer Pflanzen. Sie waren schmucklos gebunden und in schlechtem Zustand. Mein Vater hätte die Stirn gerunzelt beim Anblick der losen Heftfäden und der stockfleckigen Seiten.
    In einer dieser Nächte erwischte er mich – Graf Bestuschew, der Reichskanzler.
    »Was hast du hier zu suchen? Wer bist du überhaupt?«, fragte er.
    Ich war so in meine Lektüre vertieft gewesen, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte. Hoch aufragend stand er jetzt vor mir, so nahe, dass ich durch den muffigen Geruch des alten Buchs den Wodkadunst wahrnahm, den der Kanzler ausatmete. Und da war noch ein anderer Geruch, etwas Scharfes, Beißendes, das ich noch nicht benennen konnte.
    Ich wusste, wer er war, ich hatte ihn oft durch die Gänge des Palasts schreiten sehen, als wäre er der Herr der Schöpfung. Die prächtige Kleidung, die er trug, kam aus Paris. Die Handgriffe seiner Spazierstöcke waren aus Silber und Walbein. Die Näherinnen redeten hinter vorgehaltener Hand darüber, dass er häufig das kaiserliche Bett wärmte, und stellten sich vor, wie er wohl in Frauenkleidern aussah, wenn er bei den Maskenbällen der Kaiserin auftrat.
    »Ich bin ein Dienstmädchen, eine Näherin«, sagte ich.
    »Eine Näherin, die deutsche Bücher liest?«
    In dem Halbdunkel spürte ich seinen forschenden Blick. Seine Finger fassten mich unter dem Kinn, er hob es an und studierte mein Gesicht.
    »Weißt du, wer ich bin?«, fragte er.
    »Sie sind ein alter Fuchs , ein aalglatter Politiker «, sagte ich gelassen.
    Er lachte.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich halte die Ohren offen beim Nähen.«
    »Und

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