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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Wehen wurden stärker.
    »Er wartet draußen in der Kutsche. Ich schicke die Zofe fort, um die Hebamme zu verständigen, dann hole ich ihn herein.«
    Ihr Gesicht hellte sich auf, aber als ihre Hand die meine drückte, fühlte sie sich hart und feucht an wie ein Wetzstein.
     
    Die Fruchtblase platzte, nachdem die Hebamme Katharina etwas Rhabarbertee eingeflößt hatte und bald darauf wusste der ganze Hof, dass die Geburt unmittelbar bevorstand. Die Kaiserin erschien, begleitet von den Damen ihres Gefolges, wechselte einige Worte mit Katharina und verlangte dann das nasse Laken zu sehen.
    Sie hielt es ans Licht. »Ist das Fruchtwasser rosa?«, fragte sie. »Ist es wieder ein Junge?«
    Die Damen wussten natürlich, was die Kaiserin gerne hören wollte. »Ja, es ist rosa«, bestätigten sie.
    Elisabeth nickte zufrieden und fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis der neue Zarewitsch da war.
    »Einige Stunden, Hoheit«, sagte die Hebamme. »Majestät sollten sich ausruhen.«
    Die Kaiserin hatte noch mehr Fragen: Hatte man den Großfürsten verständigt? Wieso war er nicht hier? Wann wollte er kommen?
    Während ich ihr antwortete, hörte ich von der anderen Seite des Wandschirms gedämpftes Poltern – offenbar hatte sich Stanislaw in seiner Kammer unvorsichtig bewegt und war gestolpert oder irgendwo angestoßen. Ich schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel und hoffte, dass niemand das Geräusch bemerkt hatte. Die Kaiserin drehte sich zum Wandschirm um.
    In diesem Moment schrie Katharina gellend auf und krümmte sich vor Schmerzen.
    »Bitte«, stammelte sie, »bitte. Es tut so weh.«
    Die Kaiserin wandte sich ihr zu und sagte ein paar beruhigende Worte. Dann zog sie ab. Die Hebamme scheuchte alle aus dem Raum. Wir verbrauchten zu viel Luft, meinte sie. Die Großfürstin müsse frei atmen können. Sie müsse sich konzentrieren.
    In dem Raum nebenan inmitten von lauter nervösen Hofdamen dachte ich an Stanislaw. Ich hatte plötzlich Angst. Was für ein Irrsinn, ihn hier einzuschmuggeln! Was, wenn er es einfach nicht mehr aushielt in seinem Kabuff?
    Aber er blieb in seinem Versteck und rührte sich nicht, als der Großfürst kam und Katharina erzählte, dass er eine große Parade veranstalten wollte, sobald sein zweiter Sohn da war. Und er würde hundert Kanonen auf einmal abfeuern lassen.
    Er hielt es auch aus, als er die Hebamme das Wort Steißlage aussprechen hörte und Katharina daraufhin zu schluchzen begann.
    Ich fragte mich, ob es Katharina etwas half, ihn in ihrer Nähe zu wissen. Ob sie, wenn die Schmerzen sie packten, zu dem Wandschirm schaute.
    Stunden vergingen. Lange qualvolle Stunden voller Angst und
Ungewissheit. Es war zehn Uhr morgens, als die Hebamme die Tür öffnete und rief, man solle die Kaiserin holen.
     
    Ich lief durch den ganzen Palast zur kaiserlichen Suite. Ich fand die Kaiserin im Bett, Kissen in ihrem Rücken, zugedeckt mit einem hermelingefütterten Umhang. Ihr Arm war frisch verbunden. Der Verband war blutig.
    Die Zofen gaben ausweichende Antworten. Der Arzt habe gesagt, es sei nichts Schlimmes, nur ein Ohnmachtsanfall. Er habe sie zur Ader gelassen, und seitdem ruhe Ihre Majestät. Sie sollten mit niemandem darüber reden.
    Ich trat ans Bett. »Majestät«, sagte ich.
    Elisabeth regte sich.
    »Die Hebamme lässt ausrichten, es ist so weit. Kann Ihre Majestät aufstehen?«
    Die Kaiserin schlug die Augen auf. Ihre schlaffe Wange, die auf dem Kissen gelegen hatte, war gerötet.
    »Natürlich. Wieso nicht?«, fragte sie.
    Als sie sich aufsetzte, sah ich, dass sie noch das Kleid vom Abend zuvor anhatte. Die Zofen hatten es ihr nicht ausgezogen, sondern es nur am Rücken geöffnet. Ich hakte es eilig wieder zu. Als ich den Arm ausstreckte, um ihr beim Aufstehen zu helfen, stieß sie meine Hand weg und sagte, ich solle nicht so ein Getue machen.
     
    Als die Kaiserin in Katharinas Schlafzimmer kam, war das Kind schon da. Die Hebamme wusch gerade Schleim und Blut von dem Neugeborenen ab.
    »Majestät, Paul Petrowitsch hat eine Schwester«, verkündete sie.
    »Eine Schwester?«
    Das Baby quäkte leise.
    Die Damen des kaiserlichen Gefolges, die mit ins Zimmer geströmt waren, drängten sich näher heran und reckten die Hälse.
    Ich hörte Katharina stöhnen.
    Ich hielt den Atem an.
    »Vielleicht ist es besser so«, sagte die Kaiserin. »Paul wird auf ein Mädchen weniger eifersüchtig sein.«
    Beifälliges Gemurmel erhob sich.
    Ich warf einen Blick auf die Großfürstin. Sie war bleich, ihre

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