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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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sterbenskrank, und nur Katharina hat das Zeug, Russland zu regieren.«
    Ich legte warnend den Finger auf die Lippen, froh darüber, dass wir schon fast das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs erreicht hatten.
    »Richten Sie der Großfürstin aus«, fuhr Sir Charles mit ungeminderter Lautstärke fort, »dass ich sie niemals im Stich lassen werde. Ich werde ihr helfen, wenn der entscheidende Moment gekommen ist. Und, liebe pani Barbara, dieser Moment ist nicht mehr fern.«
     
    »Sir Charles mahnt Sie, vorsichtig zu sein«, sagte ich am Abend zu Katharina. Sie hatte ihre Zofe weggeschickt und lag auf einem Sofa in ihrem Schlafzimmer, ein Buch auf ihrem runden Bauch, die Füße in einem Bärenfell vergraben. Die Öfen im provisorischen Palast heizten nicht richtig.
    Sie klappte das Buch zu.
    »Ich brauche seine Warnungen nicht, Warenka. Ich bin nicht dumm. Es tut mir leid, dass er dich meinetwegen belästigt hat.«
    Ich blickte auf ihren Bauch. Das Baby sollte in zwei Monaten kommen.
    Ein Bild kam mir in den Sinn: ein Gärtner in Oranienbaum, der von einem Dahlienbeet Schnecken ablas und sie in einem Kübel mit Salzlauge ersäufte. Daneben Katharina, die sich stöhnend streckte, weil ihr das Kreuz wehtat, und darüber klagte, dass die Gärten den ganzen Sommer über voller Schnecken waren.
    »Die Kaiserin ist sterbenskrank. Wenn der entscheidende Moment gekommen ist« , hat Sir Charles gesagt. »Was hat das zu bedeuten?«
    Katharina zeigte auf einen Stuhl neben dem Sofa. Ich setzte mich. »Sir Charles benimmt sich seltsam in letzter Zeit. Ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich fand, du hast genug eigene Sorgen.«
    »Seltsam?«
    »Er wird vergesslich. Er hat sein Porzellangeschirr in Kisten verpacken lassen und hinterher die Diener beschuldigt, sie hätten es gestohlen. Stanislaw ist auch beunruhigt.«
    Ich wartete darauf, dass sie weiterredete, aber sie nahm meine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Er war viel größer als damals, als sie mit Paul schwanger gewesen war.
    »Die Hebamme sagt, ich soll mich immer gut warm halten. Was meinst du, Warenka: Kann es sein, dass es Zwillinge sind?« Sie lächelte.
     
    Im November feierte der Hof den sechzehnten Jahrestag der Thronbesteigung Elisabeths. Sie war fast achtundvierzig Jahre alt.
    Ich war dreißig und seit drei Monaten Witwe, hatte eine achtjährige Tochter und keine Familie. Nur ein paar Freunde und eine alte Dienerin würden sich um Darja kümmern, wenn ich starb.
    Ich nahm meinen Dienst bei Hof wieder auf. Die Zofen ließen durchblicken, dass während meiner Abwesenheit nicht alles reibungslos funktioniert hatte. Diese oder jene Ehrendame, die der
Kaiserin nachts Gesellschaft leisten sollte, war nicht zur vorgesehenen Zeit gekommen, eine andere war gegangen, sobald die Kaiserin eingenickt war, und nicht zur Stelle gewesen, als Elisabeth wieder aufwachte. Katzen waren ausgesperrt worden und hatten kläglich in der Kälte miaut. Die Kerzen hatten gequalmt, weil niemand die Dochte kürzte. Man hatte wieder einen Dieb erwischt; er hatte sich in einem Schrank versteckt, die Taschen voller Seidenstrümpfe.
    Die Zofen sprachen leise in bedrücktem Ton mit mir. Einen »schrecklichen Verlust« nannten sie Igors Tod, aber in ihren Gesichtern stand weniger Mitgefühl geschrieben als vielmehr der flehende Wunsch, ich möge mich ihrer mitfühlenden Worte dankbar erinnern, wenn ich Pflichten zuzuweisen und Belohnungen zu verteilen hatte.
    Die Kaiserin ließ ihren Blick über mein schwarzes Kleid gleiten.
    »Bring Darja zum Zarewitsch ins Kinderzimmer«, sagte sie. »Er weiß, dass er bald ein Brüderchen bekommen wird, und ist jetzt schon eifersüchtig. Darja kann mit ihm spielen.«
    »Meiner Tochter geht es nicht gut, Hoheit. Sie isst nicht genug.« Ich musste daran denken, wie ihre knochigen Schultern aus ihrem Kleid herausstaken.
    Du wagst es, mir zu widersprechen? , sagte das Gesicht der Kaiserin. Ich erwartete, dass ihr Ton barsch wurde, aber zu meiner Überraschung blieb sie gelassen.
    »Bring sie morgen her, Warwara«, sagte sie freundlich. »Kinder müssen spielen.«
     
    Nach den Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags bereitete sich der Hof auf die Geburt eines weiteren Nachkommen des Hauses Romanow vor. Ein großes Fest wurde geplant, allerdings wurde streng darauf geachtet, dass nie jemand den Anlass dieses Fests erwähnte, denn das brachte Unglück. Ich beobachtete, wie geschlachtete Lämmer, Kälber und Schweine in das Haus dem Pa
last gegenüber gebracht

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