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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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marschierte.
     
    Seitdem die Geheimkanzlei aufgelöst worden war, hatte sich in der Stadt ein neuer Geschäftszweig etabliert: Leute, die früher als Spitzel im Dienst dieser Behörde gearbeitet hatten, handelten nun mit Denunziationen, anrüchigen Geschichten und geheimen Sünden aller Art. »Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, diese brisanten Informationen zu kaufen«, sagten sie zu ihren Opfern, »sonst kauft sie vielleicht jemand anderes.«
    Aus dem Exil des geschassten Kanzlers Bestuschew trafen keine Klagen mehr darüber ein, dass Kämpfe von Raben um ein Stück Aas seine einzige Unterhaltung seien. Er hatte den neuen Zaren brieflich gebeten, nach Sankt Petersburg zurückkehren zu dürfen, aber keine Antwort erhalten. Mir empfahl er, ich möge mir die Weisheit bäuerlicher Sprichwörter zu Herzen nehmen, die gewiss auch der Großfürstin gefielen: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse. Wenn man die Ernte wiegt, kann ein einziger Kohlkopf den Ausschlag geben.
    Ich warf seinen Brief ins Feuer. Für mich bemaß sich jetzt alle Zeit nur noch daran, wie Katharinas Leib sich rundete, wie ihre Haut sich spannte, an dem Takt, den die steten Tritte des Babys vorgaben.
    Die Zeit einer Frau strebt ihrer ureigenen Reife zu, voller Hoffnung, aber auch voller Ungewissheit.
     
    Der Februar ging zu Ende, und Katharina verließ ihre Wohnung nur noch, wenn sie ihren Sohn im Winterpalast besuchte.
    Paul war jetzt siebeneinhalb Jahre alt. Er nässte nachts ein und hatte wieder angefangen, am Daumen zu lutschen. An dem Tag, an dem Graf Panin ihm sagte, dass sein Vater Kaiser geworden war, blinzelte Paul nur verwirrt und fragte, was aus dem Kater Puschok seiner Tante geworden war.
    Das neue Kinderzimmer Pauls mit Blick auf die schneebedeckte Newa lag weitab von der kaiserlichen Suite, und Katharina konnte dort ein und aus gehen, ohne von jemandem gesehen zu werden außer von Graf Panin, dem Erzieher des Kronprinzen.
    Sie erzählte mir von diesen Besuchen, wenn wir allein waren. Es waren traurige Berichte. Hast du gut geschlafen? , fragte sie ihren Sohn. Hat dir das Buch gefallen, das ich dir letztes Mal mitgebracht habe? Paul versteckte sein Gesicht in der Schürze seines Kindermädchens und schüttelte den Kopf. Wenn Katharina ihn bat, sie anzusehen, hob er den Kopf, drehte sich zu ihr um und vergrub dann sofort sein Gesicht wieder im Schoß des Mädchens.
    »Peter hetzt ihn gegen mich auf.« Katharina kochte vor Zorn. »Er will mich von meinem eigenen Sohn fernhalten.« Es machte mir Angst, wenn ich sie so sah, so voller Empörung und Hass. Ich fürchtete, ihr ungeborenes Kind könnte von den negativen Gedanken und Gefühlen seiner Mutter Schaden nehmen.
    Was Katharina auch versuchte, um ihrem Sohn näherzukommen, es half alles nichts. Sein kleines Gesicht zog sich zu einer finster verstockten Grimasse zusammen, sobald er sie erblickte. Sie war jedes Mal in Tränen aufgelöst, wenn sie bei ihm gewesen war.
    »Könntest nicht du zu Paul gehen, Warenka?«, fragte sie einmal nach einem dieser Besuche. »Du könntest Darja mitnehmen.«
    Der Gedanke machte ihr Hoffnung, ihr Gesicht hellte sich auf.
    Ich würde ihr damit einen großen Gefallen tun, sagte sie, fasste nach meiner Hand und drückte sie an ihr Herz. Der bloße Gedanke, dass unsere Kinder miteinander spielten, würde sie trösten.
Die Vorstellung, dass sich vielleicht doch mir oder Darenka irgendwie die Möglichkeit eröffnete, Paul zu versichern, dass er eine Mutter hatte, die ihn liebte.
    Ich habe noch heute ihre flehende Stimme im Ohr.
    »Wir sind schon so lange Freundinnen, Warenka. Wir haben beide erfahren, was Bosheit anrichten kann. Wir wissen, was auf dem Spiel steht.«
    Wie hätte ich ihr ihren Wunsch abschlagen können?
     
    Im März fingen die Albträume an. Träume von aufplatzenden Bäuchen, von einbrechenden Wasserfluten. »Es ist, als hätte der Teufel sie geschickt, Madame«, sagte die Zofe ganz aufgelöst, die zu mir gekommen war, um mich zu holen.
    Ich eilte zu Katharina. Ihre Zähne klapperten, ihre Lippen waren bleich. Sie murmelte etwas von Babys, die in Spinnweben gewickelt waren, von Babys mit Flossen und Armstummeln, Babys ohne Münder, ohne Augen.
    Auch sie war in der Kunstkamera gewesen und hatte die Missbildungen in der anatomischen Sammlung Peters des Großen gesehen.
    Ich schickte Mascha in die Millionnajastraße zu den Orlows und gab Katharina mit weißem Honig gesüßten Tee zu trinken oder ein Glas Himbeerkwass. Wenn das

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