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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Landgüter, aber diejenigen, die blieben, stiegen in den innersten Kreis der Macht um Peter auf. Der Kaiser, so sagte man, wolle alle die, die seiner geliebten Tante nützliche Dienste geleistet hatten, gut versorgt wissen.
    Ich wartete darauf, in den Winterpalast gerufen zu werden, aber niemand verlangte nach mir.
    »Bitte Peter, dich meinem Hofstaat zuzuteilen, Warenka«, sagte Katharina. »Bitte ihn auf Knien, wenn es sein muss.«
    Sie trug Trauerkleidung und ein schwarzes Schultertuch über dem Haar und sprach nie darüber, dass sie selbst auch vergeblich wartete. »Meine Freunde haben mich nicht verlassen, Warenka«, sagte sie einmal, als ich ihr wieder einen Brief von Stanislaw brachte. »Auch wenn ich nicht immer so aufrichtig ihnen gegenüber sein konnte, wie ich eigentlich wollte.«
     
    Die Oberhofmeisterin musterte mich unentschlossen, als ich ihr vortrug, welche Funktionen ich ausgefüllt hatte: Vorleserin des Großfürsten, Kammerfrau im kaiserlichen Schlafzimmer. Ich bemühte mich um einen gelassenen Ton, um nicht aufdringlich oder fordernd zu wirken. Auf dem großen, mit Schnitzereien reich verzierten Schreibtisch zwischen uns lagen zahlreiche Aktendeckel, die mit grünen Bändchen zugebunden waren. Hinter der Oberhofmeisterin saß ein Sekretär, der Notizen machte.
    »Ich habe der Kaiserin nützliche Dienste geleistet«, sagte ich.
    Im neuen Winterpalast roch es noch nach Farbe, Leinöl und feuchtem Putz. Das Fräulein hatte Iwan Schuwalows Suite in Beschlag genommen, die über dem kaiserlichen Schlafzimmer lag und durch eine eigene Treppe mit ihm verbunden war. Ihr Hofstaat war doppelt so groß wie der Katharinas. An dem Tag nach dem Staatsbegräbnis hatte man die Favoritin des neuen Kaisers Elisabeths Schmuck tragen sehen.
    Die Oberhofmeisterin seufzte und sagte, ich sollte in einer Woche noch einmal bei ihr vorsprechen. Aber als ich mich wieder im Winterpalast einfand, hatte sie keine Zeit für mich. Eine ihrer Untergebenen teilte mir mit, dass ich in der kaiserlichen Kleiderkammer anfangen konnte. Dort gebe es eine Menge Arbeit, meinte sie. Die verstorbene Kaiserin hatte fünfzehntausend Ballkleider hinterlassen, dazu ungezählte Schuhe, Seidenstrümpfe, Taschen, Sonnenschirme, Handschuhe, Kokoschniks und Fächer. Das alles musste gesichtet und sortiert werden.
    »Das kann ich Ihnen anbieten, Madame Malikina. Ich hoffe, es ist Ihnen angenehm«, sagte sie heiter.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, antwortete ich.
    Sie warf einen Blick auf ihre Notizen. Meine Tochter und ich könnten noch einige Zeit im provisorischen Palast wohnen bleiben, fuhr sie fort, ohne aufzuschauen, aber ich sollte mich bald nach einem neuen Quartier umsehen, im Winterpalast sei kein Platz für mich.
     
    Meine Erinnerungen an die folgenden Tage ertrinken fast in Stoffen, in Brokat, gemustertem Samt und bestickter Seide. Ich sehe Kaftane, Sarafane, Tüllschleier, Paniers und Perücken. Unterröcke und Kleider. Schubladen und Truhen mit fertig ausgeschnittenen Einzelteilen, Ärmeln, Schleppen, Miedern, die, wenn die Zeit drängte, in wenigen Stunden zu einem Kleid zusammengesetzt werden konnten. Körbe voller seidener Unterwäsche. Der Geruch von saurem Schweiß mischt sich mit dem Duft von Rosenwasser und Mandelmilch, und um mich herum reden alle von nichts anderem als von dem neuen Kaiser.
    Wenn ich am Abend bei Katharina war, erzählte ich ihr weiter, was ich gehört hatte.
    »Kontrolle ist das A und O der Herrschaft«, sagte der Kaiser. »Man muss unerwartete und unangekündigte Inspektionen durchführen.«
    Er tauchte in den Kasernen auf und ließ die Soldaten zur Uniformkontrolle antreten, er wog in der Münze frisch geprägte Silberrubel, er machte unangemeldete Besuche bei Behörden, um festzustellen, welche pflichtvergessenen höheren Beamten lieber zu Hause den Vormittag verschliefen als pünktlich zum Dienst zu erscheinen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass sie mich so lieben«, bemerkte er erfreut, als er in seiner Kutsche durchs Tor fuhr und die Posten der Garde in strammer Haltung grüßten.
    Er schnitt Grimassen in Richtung der Krähen, die über schneebedeckten Feldern kreisten. Er streckte während der Messe dem Priester die Zunge heraus. Er spielte vier Stunden lang Geige. Er nannte Russland »ein verfluchtes Land«. Er kniete vor dem Bildnis des Königs von Preußen nieder und gelobte: »Mein Bruder, wir werden gemeinsam das Universum erobern!« Er versuchte, den preußischen Botschafter dazu zu überreden,

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